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Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Titel: Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Autoren: Liane Sons
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kniete nieder und küsste die Füße der Statue. »Verzeiht mir meine Bedenken, Mutter aller Verianer! Wenn Ihr der Meinung seid, ich könnte die mir von Euch übertragene Aufgabe erfüllen, dann werde ich mich auf den Weg machen. Gebt meinem Herzen Mut und meinem Körper Kraft, und, wenn Ihr es ganz besonders gut meinen solltet, stellt mir in der Nebelfrau eine große Magierin und in dem Prinzen einen tapferen und starken Kämpfer an die Seite!«
    Er verneigte sich ehrerbietig, blinzelte dabei aber verschmitzt mit dunkelbraunen Augen. »Ein kleiner Hinweis darauf, dass ich an diesen heiligen Ort nach erfüllter Aufgabe in einem Stück zurückkehren werde, um Euch zu huldigen, könnte meine weichen Knie stärken und meinen Schritt beschleunigen.«
    Das Licht der Sonne, das den Raum durchflutete und die Statue in unwirkliches, sanftes Licht tauchte, wurde vom einen Augenblick zum anderen von einer Wolke verdunkelt.
    Gideon verneigte sich hastig ein weiteres Mal vor dem Standbild. »Ihr habt erneut recht, Herrin! Dieser plumpe Versuch war selbst meiner unwürdig. Vergebt mir meinen Kleinmut! Ich sehe bereits in freudiger Erwartung dem Treffen mit der Priesterin entgegen, und es dürfte ja – wenn ich Euch richtig verstanden habe – ein Leichtes sein, den Erben der Kraft zu finden. Selbstverständlich habe ich mich längst der Ansicht angeschlossen, dass einer der da’Kandar-Prinzen sowohl die Enthauptung als auch die Zerstückelung und den sich anschließenden Scheiterhaufen lebend überstanden hat. Verzeiht mir meine Zweifel, die nur darin begründet lagen, dass ich mich selbst nicht in der Lage dazu gesehen hätte, diese gründliche Art der Vernichtung zu überleben.«
    Gideon gewann den Eindruck, dass es noch dunkler wurde, schluckte und beeilte sich zu sagen: »Ihr wisst, dass Furcht bisher nur meine Worte beflügelte, nie meine Schritte. Dies wird sich vermutlich ändern müssen. Seht mich schon auf dem Weg ins unwirtliche, steile, kalte und grausige Wintergebirge. Ich werde Wind und Wetter, Schneewölfen, Horkas und anderen Ungeheuern, Hunger und Leiden trotzen. Mir klappern jetzt schon die Zähne und zittern die Knie, aber ich werde versuchen, mich als würdig zu erweisen.«
    Er verließ unter mehreren Verbeugungen die Gebetsstätte, ging die Wendeltreppe hinab und wurde in der Halle von Meister Cato, einem der Burg-Älteren, erwartet.
    »Endlich kommst du«, rief der ihm entgegen. »Es ist Zeit für uns, aufzubrechen. Fürst Darius ruft die Siegelerben zusammen. Wir werden im Gasthaus von einer Eskorte erwartet!«
    »Der Weg ist bereitet«, murmelte Gideon versonnen. »Danke, Herrin!«
    Wenig später in Kambala, einem der mittleren Reiche
    Krähen sammelten sich auf dem seit Monden nicht mehr benutzten Henkersbaum. Die Sonne hatte längst noch nicht ihren höchsten Stand erreicht. Marktstände waren verlassen, Stangen mit Planen, die Fisch und Kräuter schützen sollten, waren eingeknickt. Ziegen meckerten und drängten sich in einem Gewirr aus Leibern und Köpfen ans Gatter, und ein gescheckter Bulle mit Hörnern von der Länge eines Männerarms schnaubte, zerrte an seiner Kette und scharrte Furchen in die ausgedörrte Erde. Tontöpfe, Hornknöpfe, Sensenklingen und kostbare Feigen aus dem Südland warteten, sorgsam zur Schau gestellt, auf Käufer, doch nicht einmal streunende Hunde versuchten, verwaistes und von Fliegen umschwirrtes Fleisch zu ergattern.
    Rauch quoll auf den Platz und trieb zwei Dutzend schwarzer Wölfe vor sich her, die mit Riesensätzen über Stände hinweg zur lebenden Beute hetzten. Weder die schauerlich hohen Todesschreie der Ziegen noch das abgrundtiefe Brüllen des Bullen oder das Jaulen der Wölfe kümmerte irgendwen, denn Kambala, die Stadt armer Fischer und Ziegenbauern, die Stadt, in der einzig der Fürst ein Haus aus Stein besaß, brannte! Kambala brannte lichterloh, und niemand versuchte, die Flammen zu löschen. Feuerzungen leckten an Lehmwänden, zuckten aus Fensterhöhlen und peitschten aus Dächern. Gebündeltes Schilfrohr darauf ging laut knisternd in Flammen auf, Balken barsten und knickten ein. Unter das Knacken, Krachen und Prasseln mischten sich gleichermaßen Wehklagen wie Hohngelächter.
    »Du rufst nach den Göttern? Besuch sie!« Eine Greisin wurde in die brennende Hölle gestoßen. Ihre Schreie ließen zopfbehangene Krieger johlen. Branntweinbeutel und Becher mit Gebrautem machten die Runde. Bärtige Männer, in schwarze Felle gehüllt, schmückten sich kichernd
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