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Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Titel: Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Autoren: Liane Sons
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mit bunten Tüchern oder Ketten aus Holzperlen und Muscheln. Ein Wolf, der den blutgetränkten Rock eines Kindes um seinen Hals trotz wildester Verrenkungen nicht abschütteln konnte, sorgte für Gelächter und trunkenes Schulterklopfen.
    Frauen, Männer und Kinder drückten sich durch schweren Qualm an Wänden entlang, achteten dabei weder auf Feuerfunken noch auf die Richtung. Denn Schutz gab es nirgendwo mehr.

    Hexenmeister Maluch stieß einen Fluch aus und gab es auf, sich zu recken. Der Wind trieb neben Staub und Gestank auch immer dickere Rauchschwaden die Straße herauf und verbarg selbst vor seinen weitblickenden Augen, wie Männer niedergemetzelt und Frauen geschändet wurden. Notgedrungen senkte er den Kopf und lauschte dem Klang des Grauens. Das Gegröle der Krieger drängte er in den Hintergrund genauso wie das Geschrei der Männer, die um Familie oder Hab und Gut kämpften, konzentrierte sich ganz auf den Wohlklang: auf die Stimmen von Frauen und Kindern! Er verstand nur selten Wörter, doch Furcht, Qual und Schmerz konnte er so deutlich hören, dass Bilder vor seinem geistigen Auge erschienen: Bilder von Kleinkindern, die sich hinter Fässern zusammenrollten und die Augen zukniffen, in der dummen Hoffnung, so nicht gesehen zu werden, und die von Wölfen aufgespürt und gejagt wurden; Bilder von Mädchen mit gefalteten Hauben, die ihre Blicke züchtig senkten, sobald ein Mann erschien, und die jetzt rannten, eingefangen wurden, um ihr Leben flehten und sich vergebens dagegen wehrten, dass nach Branntwein und Schweiß stinkende Ungeheuer sich auf sie warfen.
    Ein hohes »Nein! Bitte nicht!« verursachte ihm ein wohliges Kribbeln: Sie war blutjung und unberührt! Doch schon bald würde sie innerlich zerfetzt sein und uralt. Ein gepeinigtes Brüllen ließ ihn den Gedankenfaden weiterspinnen. Das war jetzt ihr Vater, der mehr Mut als Verstand besaß. Die Krieger würden ihn zwingen, zuzusehen, wie sie sich keuchend, einer nach dem anderen in seinem Herzchen entleerten. Diese Vorstellung war so prickelnd, so erregend, dass seltene Hitze in seinen Lenden aufwallte.
    »Soll ich eine Sänfte für dich bestellen für einen Besuch in der Stadt?«
    Er hatte nicht bemerkt, dass Camora den Raum betreten hatte, und die tiefe Stimme ließ ihn herumfahren. Nur widerwillig kam er zurück in die anheimelnde Umgebung aus poliertem Holz und Fliedersträußen. Er sah gestickte Wandteppiche mit Erntetanzmotiven und Tischchen, auf denen Kerzenleuchter aus Krom und Schalen mit Obst oder Blütenblättern standen. Die Sonne zauberte einen rotgoldenen Schimmer auf hochlehnige Stühle und den herrschaftlich großen Tisch und ließ den verrußten Kamin im Schatten.
    Geschrei aus der Stadt war immer noch zu hören, aber jetzt hörte er auch wieder das hölzerne Windspiel, das neben dem Fenster klapperte, und er hörte die Vögel, die in den Ästen der Weide zwitscherten. Hätte seine feine Nase nicht im Gestank nach Rauch auch den Duft verbrannten Menschenhaars und -fleisches aufgesogen, er hätte sich in diesem häuslich sauberen Frieden aus Duftkräutern und frischen Binsen geekelt.
    Camoras gekräuselte Mundwinkel und ein Blitzen seiner dunklen Augen unter den buschigen Brauen verrieten, dass er um die Gemütsverfassung des Hexers wusste. »Ein munteres Treiben herrscht in den Gassen. Fast möchte ich sagen: ein sehr erhitztes!«
    Maluch musterte den schwarzbärtigen Anführer der Horden, dessen Oberarme und Schenkel das Leder zu sprengen schienen und der ihn wie immer an einen Bullen denken ließ, und schüttelte den Kopf. »Ich bin in Eile. Bevor ich aber zum Grund meines Besuchs komme – sagtest du nicht, Fürst Marcos wolle dir die Stadtschlüssel kampflos übergeben?«
    Camora zog an seiner Pfeife, während er sich mit wenigen kraftvollen Schritten das Zimmer zu eigen machte, es allein durch seine massige Gegenwart scheinbar schrumpfen ließ. Er blies den Rauch durch die Nase, und Gestank nach verbranntem Heu waberte durch die Luft. »Er war auch so nett und schenkte mir sein Reich und sein Haus. Ich war daher entgegenkommend, nahm beides an und ließ den Feigling mit seiner Familie auf sein Landgut ziehen. Aber seine Fischfresser waren trotzig, blieben daheim und verriegelten Fenster und Türen vor mir. Da ich meine nächsten Feldzüge von hier aus führen werde, hielt ich es für angebracht, ihnen schnell beizubringen, wie man mich zu empfangen hat. Außerdem ist für die Männer nach einem langen Ritt nichts
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