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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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unzimperlicher Mensch, der mich gleicherweise anzog wie abschreckte. Als es schon gegen drei ging und zum ersten Johnnie Walker vier
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    weitere gekommen waren, erbot er sich, mich am nächsten Morgen mit seinem Opel Kapitän nach Zürich zu schaffen. Da ich die Gegend um Chur und überhaupt diesen Teil der Schweiz nur flüchtig kannte, nahm ich die Einladung an. Dr. H.
    war als Mitglied einer eidgenössischen Kommission nach Graubünden gekommen und hatte, da ihn das Wetter an der Rückfahrt hinderte, ebenfalls meinen Vortrag besucht, ließ sich jedoch nicht darüber aus, nur daß er einmal meinte: »Sie tragen ziemlich ungeschickt vor.« Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg. Ich hatte in der Dämmerung - um noch etwas schlafen zu können - zwei Medomin genommen und war wie gelähmt. Es war immer noch nicht recht hell, obgleich schon lange Tag. Irgendwo glänzte ein Stück metallener Himmel.
    Sonst schoben sich nur Wolken dahin, lastend, träge, noch voll Schnee; der Winter schien diesen Teil des Landes nicht verlassen zu wollen. Die Stadt war von Bergen eingekesselt, die jedoch nichts Majestätisches aufwiesen, sondern eher Erdaufschüttungen glichen, als wäre ein unermeßliches Grab ausgehoben worden. Chur selbst offenbar steinig, grau, mit großen Verwaltungsgebäuden. Es kam mir unglaubhaft vor, daß hier Wein wuchs. Wir versuchten, in die Altstadt einzudringen, doch verirrte sich der schwere Wagen, wir gerieten in enge Sackgassen und Einbahnstraßen, schwierige Rückzugsmanöver waren nötig, um aus dem Gewirr der Häuser hinauszukommen; dazu war das Pflaster vereist, so daß wir froh waren, die Stadt endlich hinter uns zu wissen, obgleich ich nun eigentlich nichts von diesem alten Bischofssitz gesehen hatte. Es war wie eine Flucht. Ich döste vor mich hin, bleiern und müde; schattenhaft schob sich in den tiefliegenden Wolken ein verschneites Tal an uns vorbei, starr vor Kälte. Ich weiß nicht, wie lange. Dann fuhren wir gegen ein größeres Dorf, vielleicht Städtchen, vorsichtig, bis auf einmal alles in der Sonne lag, in einem so mächtigen und blendenden Licht, daß die Schneeflächen zu tauen anfingen. Ein weißer Bodennebel stieg auf, der sich merkwürdig über den Schneefeldern ausmachte und mir den Anblick des Tales aufs neue entzog. Es ging wie in einem bösen Traume zu, wie verhext, als sollte ich dieses Land, diese Berge nie kennenlernen.
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    Wieder kam die Müdigkeit, dazu das unangenehme Geprassel von Kies, mit dem man die Straße bestreut hatte; auch gerieten wir bei einer Brücke leicht ins Rutschen; dann ein Militärtransport; die Scheibe wurde so schmutzig, daß die Wischer sie nicht mehr reinigen konnten. H. saß mürrisch neben mir am Steuer, in sich versunken, auf die schwierige Straße konzentriert. Ich bereute, die Einladung angenommen zu haben, verwünschte den Whisky und das Medomin. Doch nach und nach wurde es besser. Das Tal war wieder sichtbar, auch menschlicher. Überall Höfe, hie und da kleine Industrien, alles reinlich und karg, die Straße nun ohne Schnee und Eis, nur glänzend vor Nässe, doch sicher, so daß eine anständigere Geschwindigkeit möglich wurde. Die Berge hatten Platz gemacht, beengten nicht mehr, und bei einer Tankstelle hielten wir.
    Das Haus machte gleich einen sonderbaren Eindruck, vielleicht weil es sich von seiner properen schweizerischen Umgebung abhob. Es war erbärmlich, troff von Nässe; Bäche flössen an ihm nieder. Zur Hälfte war das Haus aus Stein, zur Hälfte eine Scheune, deren Holzwand längs der Straße mit Plakaten beklebt war, seit langem offenbar, denn es hatten sich ganze Schichten übereinandergeklebter Plakate gebildet: Burrus Tabake auch in modernen Pfeifen, trink Canada Dry, Sport Mint, Vitamine, Lindt Milchschokolade usw. An der Breitwand stand riesenhaft: Pneu Pirelli. Die beiden Tanksäulen befanden sich vor der steinernen Hälfte des Hauses auf einem unebenen, schlecht gepflasterten Platz; alles machte einen verkommenen Eindruck, trotz der Sonne, die jetzt beinahe stechend, bösartig schien.
    »Steigen wir aus«, sagte der ehemalige Kommandant, und ich gehorchte, ohne zu begreifen, was er vorhatte, doch froh, an die frische Luft zu kommen.
    Neben der offenen Haustüre saß ein alter Mann auf einer Steinbank. Er war unrasiert und ungewaschen, trug einen hellen Kittel, der schmuddelig und verfleckt war, und dazu dunkle, speckig schimmernde Hosen, die einmal zu einem Smoking gehört hatten. An den Füßen alte
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