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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Mädchen photographiert worden?«
    »Wir nehmen noch zwei Bilder von oben auf.«
    Matthäi wartete.
    »Spuren?«
    »Nichts. Alles verschlammt.«
    »Bei den Knöpfen nachgesehen? Fingerabdrücke?«
    »Aussichtslos nach diesem Wolkenbruch.«
    Dann bückte sich Matthäi vorsichtig. »Mit einem Rasiermesser«, stellte er fest, las das herumliegende Gebäck zusammen und tat es vorsichtig ins Körbchen zurück.
    »Brezeln.«
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    Es wurde gemeldet, einer vom Dorfe wolle sie sprechen.
    Matthäi stand auf. Der Staatsanwalt blickte zum Waldrand. Dort stand ein Mann mit weißen Haaren, einen Schirm über den linken Unterarm gehängt. Henzi lehnte sich an eine Buche. Er war bleich. Der Hausierer saß auf seinem Korb und beteuerte leise immer wieder: »Ganz zufällig bin ich vorbeigekommen, ganz zufällig!«
    »Bringen Sie den Mann her.«
    Der weißhaarige Mann kam durchs Gebüsch, erstarrte.
    »Mein Gott«, murmelte er nur, »mein Gott«.
    »Darf ich um Ihren Namen bitten?« fragte Matthäi.
    »Ich bin der Lehrer Luginbühl«, antwortete der weißhaarige Mann leise und schaute weg.
    »Kennen Sie dieses Mädchen?«
    »Das Gritli Moser.«
    »Wo wohnen die Eltern?«
    »Im Moosbach.«
    »Weit vom Dorf?«
    »Eine Viertelstunde.«
    Matthäi schaute hin. Er war der einzige, der den Blick wagte.
    Niemand sagte ein Wort.
    »Wie ist das gekommen?« fragte der Lehrer.
    »Ein Sexualverbrechen«, antwortete Matthäi. »Ging das Kind zu Ihnen in die Schule?«
    »Zu Fräulein Krumm. In die dritte Klasse.«
    »Haben Mosers noch mehr Kinder?«
    »Gritli war das einzige.«
    »Jemand muß es den Eltern sagen.«
    Die Männer schwiegen wieder.
    »Sie, Herr Lehrer?« fragte Matthäi.
    Luginbühl antwortete lange nichts. »Halten Sie mich nicht für feige«, sagte er endlich zögernd, »aber ich möchte es nicht tun.
    Ich kann es nicht«, fügte er leise hinzu.
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    »Verstehe«, sagte Matthäi. »Der Herr Pfarrer?«
    »In der Stadt.«
    »Gut«, antwortete Matthäi darauf ruhig. »Sie können gehen, Herr Luginbühl.«
    Der Lehrer ging zur Straße zurück. Dort hatten sich immer mehr von Mägendorf angesammelt.
    Matthäi blickte zu Henzi hinüber, der immer noch an der Buche lehnte. »Bitte nicht, Kommissär«, sagte Henzi leise. Auch der Staatsanwalt schüttelte den Kopf. Matthäi blickte noch einmal hin und dann zum roten Röcklein, das zerrissen im Gebüsch lag, durchtränkt von Blut und Regen.
    »Dann werde ich gehen«, sagte er und hob den Korb mit den Brezeln auf.
    »Im Moosbach« lag in einer kleinen moorartigen Niederung bei Mägendorf. Matthäi hatte den Dienstwagen im Dorfe verlassen und ging zu Fuß. Er wollte Zeit gewinnen. Schon von weitem sah er das Haus. Er blieb stehen und wandte sich um. Er hatte Schritte gehört. Der kleine Bub und das Mädchen waren wieder da, mit gerötetem Gesicht. Sie mußten Abkürzungen benützt haben, anders war ihre erneute Gegenwart nicht zu erklären.
    Matthäi ging weiter. Das Haus war niedrig, weiße Mauern mit dunklen Balken, darüber ein Schindeldach. Hinter dem Haus Obstbäume und im Garten schwarze Erde. Vor dem Hause hackte ein Mann Holz. Er blickte auf und bemerkte den herankommenden Kommissär.
    »Was wünschen Sie?« sagte der Mann.
    Matthäi zögerte, war ratlos, stellte sich dann vor und fragte, nur um Zeit zu gewinnen: »Herr Moser?«
    »Der bin ich, was wollen Sie?« sagte der Mann noch einmal. Er kam näher und blieb vor Matthäi stehen, das Beil in der Hand.
    Er mußte etwa vierzig sein. Er war hager, sein Antlitz zerfurcht, und die grauen Augen betrachteten den Kommissär forschend.
    In der Türe erschien eine Frau, auch sie in einem roten Rock.
    Matthäi überlegte, was er sagen sollte. Er hatte sich dies seit
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    langem überlegt, aber er wußte es immer noch nicht. Da kam ihm Moser zu Hilfe. Er hatte den Korb in Matthäis Hand erblickt.
    »Ist Gritli etwas geschehen?« fragte er und sah aufs neue Matthäi forschend an.
    »Haben Sie Ihr Gritli irgendwohin geschickt?« fragte der Kommissär.
    »Zu ihrer Großmutter in Fehren«, antwortete der Bauer.
    Matthäi überlegte; Fehren war das Nachbardorf. »Ging Gritli diesen Weg öfters?« fragte er.
    »Jeden Mittwoch- und Samstagnachmittag«, sagte der Bauer und fragte dann in einer plötzlichen, jähen Angst: »Warum wollen Sie das wissen? Weshalb bringen Sie den Korb zurück?«
    Matthäi stellte den Korb auf den Baumstumpf, auf dem Moser Holz gehackt hatte.
    »Das Gritli ist im Walde bei Mägendorf tot aufgefunden worden«,
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