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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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in euren Romanen. Hier wird der Schwindel zu toll und zu unverschämt. Ihr baut eure Handlungen logisch auf; wie bei einem Schachspiel geht es zu, hier der Verbrecher, hier das Opfer, hier der Mitwisser, hier der Nutznießer; es genügt, daß der Detektiv die Regeln kennt und die Partie wiederholt, und schon hat er den Verbrecher gestellt, der Gerechtigkeit zum Siege verholfen. Diese Fiktion macht mich wütend. Der Wirklichkeit ist mit Logik nur zum Teil beizukommen. Dabei, zugegeben, sind gerade wir von der Polizei gezwungen, ebenfalls logisch vorzugehen, wissenschaftlich; doch die Störfaktoren, die uns ins Spiel pfuschen, sind so häufig, daß allzu oft nur das reine Berufsglück und der Zufall zu unseren Gunsten entscheiden. Oder zu unseren Ungunsten. Doch in euren Romanen spielt der Zufall keine Rolle, und wenn etwas nach Zufall aussieht, ist es gleich Schicksal und Fügung gewesen; die Wahrheit wird seit jeher von euch Schriftstellern den dramaturgischen Regeln zum Fräße hingeworfen. Schickt diese Regeln endlich zum Teufel. Ein Geschehen kann schon allein deshalb nicht wie eine Rechnung aufgehen, weil wir nie alle notwendigen Faktoren kennen, sondern nur einige wenige, meistens recht nebensächliche. Auch spielt das Zufällige, Unberechenbare, Inkommensurable eine zu große Rolle.
    Unsere Gesetze fußen nur auf Wahrscheinlichkeit, auf Statistik, nicht auf Kausalität, treffen nur im allgemeinen zu, nicht im besonderen. Der Einzelne steht außerhalb der Berechnung.
    Unsere kriminalistischen Mittel sind unzulänglich, und je mehr wir sie ausbauen, desto unzulänglicher werden sie im Grunde.
    Doch ihr von der Schriftstellerei kümmert euch nicht darum. Ihr versucht nicht, euch mit einer Realität herumzuschlagen, die sich uns immer wieder entzieht, sondern ihr stellt eine Welt auf, die zu bewältigen ist. Diese Welt mag vollkommen sein, möglich, aber sie ist eine Lüge. Laßt die Vollkommenheit fahren, wollt ihr weiterkommen, zu den Dingen, zu der
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    Wirklichkeit, wie es sich für Männer schickt, sonst bleibt ihr sitzen, mit nutzlosen Stilübungen beschäftigt. Doch nun zur Sache.
    Sie haben wohl diesen Morgen über Verschiedenes gestaunt.
    Vorerst über meine Rede, denke ich; ein ehemaliger Kommandant der Kantonspolizei Zürich sollte wohl gemäßigtere Ansichten pflegen, aber ich bin alt und mache mir nichts mehr vor. Ich weiß, wie fragwürdig wir alle dastehen, wie wenig wir vermögen, wie leicht wir uns irren, aber auch, daß wir eben trotzdem handeln müssen, selbst wenn wir Gefahr laufen, falsch zu handeln.
    Dann werden Sie sich auch gewundert haben, weshalb ich vorhin bei dieser erbärmlichen Tankstelle haltmachte, und ich will es Ihnen gleich gestehen: Das traurige, versoffene Wrack, das uns mit Benzin bediente, war mein fähigster Mann. Ich habe, weiß Gott, etwas von meinem Beruf verstanden, aber Matthäi war ein Genie, und das in einem größeren Maße als einer eurer Detektive.
    Die Geschichte hat sich vor nun bald neun Jahren ereignet, fuhr H. fort, nachdem er einen Lastwagen der Shell-Kompanie überholt hatte. Matthäi war einer meiner Kommissäre, oder besser, einer meiner Oberleutnants, denn wir führen bei der Kantonspolizei militärische Rangbezeichnungen. Er war Jurist wie ich. Er hatte als Basler in Basel doktoriert und wurde, zuerst in gewissen Kreisen, die mit ihm »beruflich« in Berührung kamen, dann aber auch bei uns »Matthäi am Letzten« genannt.
    Er war ein einsamer Mensch, stets sorgfältig gekleidet, unpersönlich, formell, beziehungslos, der weder rauchte noch trank, aber hart und unbarmherzig sein Metier beherrschte, ebenso verhaßt wie erfolgreich. Ich bin nie recht klug aus ihm geworden. Ich war wohl der einzige, der ihn mochte - weil ich klare Menschen überhaupt liebe, wenn mir auch seine Humorlosigkeit oft auf die Nerven ging. Sein Verstand war überragend, doch durch das allzu solide Gefüge unseres Landes gefühllos geworden. Er war ein Mann der Organisation, der den Polizei-Apparat wie einen Rechenschieber handhabte.
    Verheiratet war er nicht, sprach überhaupt nie von seinem
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    Privatleben und hatte wohl auch keines. Er hatte nichts im Kopf als seinen Beruf, den er als ein Kriminalist von Format, doch ohne Leidenschaft ausübte. So hartnäckig und unermüdlich er auch vorging, seine Tätigkeit schien ihn zu langweilen, bis er eben in einen Fall verwickelt wurde, der ihn plötzlich leidenschaftlich werden ließ.
    Dabei stand Dr. Matthäi gerade damals auf
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