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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Priester, die ganze Versammlung endlich zu verlassen, gelangte in den Korridor.
    Überall tauchten Besucher auf mit Paketen und Blumen, und es roch nach Krankenhaus. Ich flüchtete. Der Ausgang war nah, ich wähnte mich schon im Park. Doch da schob ein gewaltiger, feierlich dunkel gekleideter Mann mit rundem Kindergesicht und Hut auf einem Rollstuhl ein verrunzeltes, zittriges Weiblein den Korridor entlang. Die Uralte war in einem Nerzmantel, hielt in beiden Armen Blumen, Riesenbündel. Vielleicht war dies die neunundneunzigjährige Schwester mit ihrem Chauffeur, was wußte ich, schaute ihnen entsetzt nach, bis sie in der Privatabteilung verschwanden, begann dann beinahe zu rennen, stürmte hinaus und durch den Park, an Kranken auf Rollstühlen, an Genesenden, an Besuchern vorbei, und beruhigte mich erst in der »Kronenhalle« ein wenig. Bei der Leberknödelsuppe.
    Ich fuhr gleich von der »Kronenhalle« nach Chur. Leider mußte ich meine Frau und meine Tochter mitnehmen, es war Sonntag, ich hatte ihnen den Nachmittag versprochen, und Erklärungen wollte ich nicht abgeben. Ich sprach kein Wort, fuhr in einem polizeiwidrigen Tempo, vielleicht war noch etwas zu retten.
    Doch hatte meine Familie im Wagen vor der Tankstelle nicht lange zu warten. In der Schenke war ein wilder Betrieb, Annemarie war gerade von Hindelbank zurückgekommen, es wimmelte von ziemlich üblen Burschen; Matthäi saß trotz der Kälte in seinem Monteuranzug auf seiner Bank, rauchte einen Stumpen, stank nach Absinth. Ich setzte mich zu ihm,
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    berichtete in kurzen Worten. Doch es war nichts mehr zu machen. Er schien mir nicht einmal zuzuhören, ich war einen Moment unschlüssig, ging dann zu meinem Opel Kapitän zurück und fuhr gegen Chur; die Familie war ungeduldig, hatte Hunger.
    »Ist das nicht Matthäi gewesen?« fragte meine Frau, die, wie gewohnt, nie im Bilde war.
    »Doch.«
    »Ich glaubte aber, der sei in Jordanien«, sagte sie.
    »Er ist nicht gereist, meine Liebe.«
    In Chur hatten wir Mühe mit dem Parkieren. Die Konfiserie war überfüllt, lauter Zürcher, die sich hier den Magen vollstopften, schwitzten, dazu Kinder, die schrien, aber wir fanden noch einen Platz, bestellten Tee und Gebäck. Doch rief meine Frau das Mädchen noch einmal zurück.
    »Fräulein, bringen Sie auch zweihundert Gramm Trüffeln.«
    Sie wunderte sich dann nur etwas, als ich davon nichts essen wollte. Um keinen Preis.
    Und nun, mein Herr, können Sie mit dieser Geschichte anfangen, was Sie wollen. Emma, die Rechnung.
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    Nachwort
    Der vorliegende Roman ist mit dem Film, der leider den Titel
    >Es geschah am hellichten Tag< führt, auf folgende Weise verknüpft: Im Frühjahr 1957 bestellte der Produzent Lazar Wechsler bei mir eine Filmerzählung. Thema:
    Sexualverbrechen an Kindern. Beabsichtigt war, vor dieser leider immer häufigeren Gefahr zu warnen. Ich lieferte eine Erzählung ab, eine Vorfassung des Romans, die ich später mit dem Regisseur des Filmes, Ladislao Vajda, zu einem Drehbuch verarbeitete, das sich zum größten Teil eng an die Filmerzählung hielt. Es liegt mir daran, hier festzuhalten, daß der Film meinen Intentionen im Wesentlichen entspricht, daß der Roman einen andern Weg gegangen ist, stellt keine Kritik an der hervorragenden Arbeit des Regisseurs dar. Der Grund liegt allein darin, daß ich mich nach der Fertigstellung des Drehbuches noch einmal an die Arbeit machte. Ich griff die Fabel aufs neue auf und dachte sie weiter, jenseits des Pädagogischen. Aus einem bestimmten Fall wurde der Fall des Detektivs, eine Kritik an einer der typischsten Gestalten des neunzehnten Jahrhunderts, und so schoß ich notgedrungen über das Ziel, das der Film, als eine Kollektivarbeit, sich setzen mußte.
    Dürrenmatt
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