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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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hatte nun einen seltsam verbissenen, ja geradezu haßerfüllten Ausdruck angenommen, ihre Schwester mit ihrem Oberst Stüssi sei an allem schuld gewesen. Ihre Schwester sei zehn Jahre älter als sie, jetzt neunundneunzig und schon bald vierzig Jahre Witwe, Villa auf dem Zürcherberg, Aktien bei Brown-Boveri, in der halben Bahnhofstraße habe sie ihre Hände; und dann brach auf einmal ein trüber Strom, oder besser, eine unflätige Kaskade von Schimpfwörtern aus dem Munde des sterbenden Mütterchens, die ich gar nicht wiederzugeben wage. Gleichzeitig richtete sich die Alte ein wenig auf, und ihr kleiner Greisenkopf mit den schlohweißen Haaren wackelte lebenslustig hin und her, wie irrsinnig vor Freude und Lust über ihren Wutausbruch. Dann aber beruhigte sie sich wieder, weil nun zum Glück die Krankenschwester kam, nana, Frau Schrott, regen Sie sich nicht auf, schön ruhig bleiben. Die Greisin gehorchte, machte eine schwache Handbewegung, als wir wieder allein waren. All die Blumen, sagte sie, schicke ihre Schwester nur, um sie zu ärgern, ihre Schwester wisse genau, daß sie Blumen nicht möge, sie hasse unnütze Geldausgaben; aber Streit hätten sie nie gehabt, wie ich wohl jetzt dächte, sie seien immer nett und lieb zueinander gewesen, aus lauter Boshaftigkeit natürlich; alle Stänzlis hätten diesen höflichen Zug, wenn sie sich untereinander auch nie leiden könnten, und ihre Höflichkeit sei nur die Methode, mit der sie sich gegenseitig quälten und bis aufs Blut folterten, zum Glück, sonst wäre die Hölle los gewesen, wenn sie keine so disziplinierte Familie gewesen wären.
    »Erzählen, Frau Schrott«, mahnte zur Abwechslung der Priester wieder einmal, »die Letzte Ölung wartet.« Und ich wünschte nun schon statt der kleinen Suerdieck eine meiner großen Bahianos herbei.
    Sie habe Anno fünfundneunzig den lieben seligen Galuser geheiratet, plätscherte der Redestrom endlos weiter, einen Doktor med. in Chur. Schon das sei der Schwester mit ihrem
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    Oberst nicht recht gewesen und nicht nobel genug, das habe sie genau gespürt, und als der Oberst an der Grippe gestorben sei, gleich nach dem Ersten Weltkrieg, sei die Schwester immer unausstehlicher geworden und habe mit ihrem Militaristen einen wahren Kult getrieben.
    »Erzählen, Frau Schrott, erzählen Sie«, ließ der Priester nicht locker, aber in keiner Weise ungeduldig, höchstens daß eine leise Trauer über so viel Verwirrung fühlbar war, während ich vor mich hin dämmerte und manchmal wie aus einem Schlummer hochschrak, »denken Sie an die Letzte Ölung, erzählen, erzählen.« Es war nichts zu machen, das Weiblein plapperte weiter auf seinem Totenbett, unermüdlich, redegewaltig, trotz seiner piepsenden Stimme und den Schläuchen unter der Bettdecke, kam vom Hundertsten ins Tausendste. Ich erwartete vage, soweit ich überhaupt noch denken konnte, eine nichtssagende Geschichte von einem hilfsbereiten Polizisten, dann die Ankündigung einer Stiftung von einigen tausend Franken, um die neunundneunzig-jährige Schwester zu ärgern, bereitete meinen warmen Dank vor und sehnte mich, meine unrealistischen Raucherwünsche entschlossen unterdrückend, um nicht ganz und gar zu verzweifeln, nach dem gewohnten Aperitif und dem traditionellen Sonntagsessen in der »Kronenhalle« mit meiner Frau und meiner Tochter. Dann habe sie, plauderte die Greisin unterdessen ungefähr weiter, eben nach dem Tode ihres Mannes, des seligen Galusers, den nun auch seligen Schrott geheiratet, der bei ihnen so etwas wie ein Chauffeur und Gärtner gewesen sei, überhaupt alle Arbeiten erledigt habe, die in einem großen alten Hause am besten von Männern erledigt würden, wie heizen, Fensterläden reparieren und so weiter, und wenn ihre Schwester auch nichts dazu bemerkt habe, ja sogar zur Hochzeit nach Chur gekommen sei, geärgert habe sie sich über diese Heirat, das wisse sie bestimmt, wenn die Schwester auch wieder, um sie eben zu ärgern, nichts habe merken lassen. Und so sei sie denn Frau Schrott geworden.
    Sie seufzte. Draußen, irgendwo im Korridor, sangen die Krankenschwestern. Adventslieder. »Nun, es war eine recht
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    harmonische Ehe mit dem lieben Seligen«, fuhr das Mütterchen fort, nachdem es dem Gesang einige Takte lang zugehört hatte,
    »wenn es auch für ihn vielleicht schwieriger war, als ich dies mir so vorstellen kann. Albertchen selig war dreiundzwanzig, als wir heirateten - war er doch gerade um neunzehnhundert geboren -
    und ich schon
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