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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee
Autoren: Ursula K. Leguin
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Finsternis lebend durchschritten hat und die fernen Ufer des Tages erreicht hat.«
    Die Finsteren Zeiten,
    die Hand und die Schule von Rok
     
    Nach Maharions Tod im Jahr 452 stritten sich mehrere Anwärter um den Thron; keiner von ihnen trug den Sieg davon. Binnen weniger Jahre hatten ihre Zwistigkeiten jedoch die zentrale Regierungsgewalt vollkommen zunichte gemacht. Der Archipel wurde zum Schlachtfeld von Feudalherren, kleinen Inselregierungen und Stadtstaaten, von Piraten und Kriegsherren, die allesamt versuchten, ihre Grenzen zu erweitern oder zu verteidigen. Unter der ständigen Bedrohung durch die Piraterie ver-kümmerten Handel und Schifffahrt, Städte und Ortschaften verschanzten sich hinter trutzigen Verteidigungsmauern, Handwerk, Fischfang und Landwirtschaft litten unter den ständigen Überfällen und Kriegen; Sklavenhalterei, die es unter den Königen nicht gegeben hatte, breitete sich aus. Magie war die wichtigste Waffe in Raubzügen und Schlachten. Magier verdingten sich an Kriegsherrn oder strebten selbst nach Macht. Durch die Verantwortungslosigkeit dieser Magier und die Entartung ihrer Macht geriet die Magie selbst in Verruf.
    Die Drachen stellten in dieser Zeit keine Bedrohung dar und auch die Kargs hatten sich zurückgezogen, um sich ihren eigenen Angelegenheiten zu widmen, doch die Auflösungserscheinungen in der Gesellschaft des Archipels wurden von Jahr zu Jahr schlimmer. Moralische und geistige Kontinuität lag einzig in der Kenntnis und Weitergabe der Erschaffung Eas und der anderen Mythen und Heldengedichte sowie in der Pflege handwerklicher Fertigkeiten, darunter die Kunst der Magie und ihr Gebrauch zu rechten Zwecken.
    Die Hand, eine lose Verbindung oder Gemeinschaft, die sich vor allem dem Verständnis, der Lehre und dem ethisch richtigen Gebrauch der Magie widmete, bildete sich etwa hundertfünfzig Jahre nach dem Tod von Maharion auf der Insel Rok. Da die Magier sich durch die Hand in ihrer Vormachtstellung bedroht fühlten, fielen sie und die Kriegsherrn von Wathort über Rok her und töteten fast alle erwachsenen Männer auf der Insel. Aber die Hand hatte sich auch schon auf anderen Inseln rund um das Innenmeer verbreitet. Unter dem Namen Frauen von der Hand überlebte die Gemeinschaft jahrhundertelang und entwickelte ein feines, aber tragfähiges Netzwerk von Information, Kommunikation, Schutz und Lehre.
    Etwa um 650 gründeten die Schwestern Elehal und Yahan aus Rok, Medra der Finder und andere Leute von der Hand auf Rok eine Schule, ein Zentrum, das es ihnen ermöglichen sollte, ihr Wissen zu sammeln und weiterzugeben, die Unterteilung in Disziplinen zu klären und ethische Kontrolle über die Verwendung von Magie auszuüben. Der Magier Teriel aus Havnor, der in der Schule eine Bedrohung für die schrankenlose, individuelle Macht der Magier sah, rückte mit einer großen Flotte an und wollte sie zerstören. Er und seine Flotte wurden vernichtend geschlagen. Dieser erste Sieg machte viel von sich reden und begründete den Ruf der Unbesiegbarkeit der Schule von Rok.
    Unter dem stetig wachsenden Einfluss von Rok wurde die Magie zu einem klar gegliederten Grundstock des Wissens zusammengefasst und ihre Verwendung wachsender moralischer und politischer Kontrolle unterworfen. An der Schule ausgebildete Magier gingen auf andere Inseln im Archipel, um gegen Kriegsherren, Piraten und Feudalherren zu wirken, Überfälle und Raubzüge zu verhindern, Strafen zu verhängen und Einigungen herbeizuführen, auf die Einhaltung von Grenzen zu achten und Menschen, Bauernhöfe, Dörfer, Städte und die Schifffahrt zu schützen, bis die soziale Ordnung wieder hergestellt war. In den ersten Jahren wurden sie ausgeschickt, um Frieden zu stiften; in zunehmendem Maß wurden sie bald auch gerufen, um ihn zu erhalten. Während der Thron in Havnor leer blieb, fungierte die Schule von Rok über zweihundert Jahre lang de facto als Zentralregierung des Archipels.
    Die Macht des Erzmagiers in Rok kam in vieler Hinsicht der eines Königs gleich. Gewiss waren es Ehrgeiz, Überheblichkeit und Dünkel gewesen, die Halkel, den ersten Erzmagier, dazu bewogen hatten, einen derart machtvollen Titel für sich zu wählen. Durch die intensive Ausbildung an der Schule und die Wachsamkeit seiner Kollegen in engen Grenzen gehalten, missbrauchte jedoch keiner der folgenden Erzmagier seine Macht ernstlich, um andere zu schwächen oder sich selbst zu erhöhen.
    Der üble Ruf, dem die Magie während der Finsteren Zeiten verfallen
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