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Das Vermächtnis des Templers

Das Vermächtnis des Templers

Titel: Das Vermächtnis des Templers
Autoren: Christoph Andreas Marx
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der Menschen im Mittelalter erscheint dagegen mutiger, radikaler: Wer sich auf die Welt des Glaubens, der Spiritualität, der Mystik, der Wunder einließ, tat dies vollständig. Die Menschen im Kloster gingen einen konsequenten und dauerhaften Weg. Der Pilger, der nach Rom, Jerusalem oder Santiago aufbrach, war sich bewusst, dass er sein Leben aufs Spiel setzte und vielleicht nicht zurückkehren würde. Da war kein Platz für Halbherzigkeiten. Es ging um dieses eine Leben, das uns geschenkt ist. Die Geschichte des Johannes von Nienburg erzählt von einem Menschen, der sich von der Welt ergreifen lässt.
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    Heute fällt es schwer, sich auch nur annähernd vorzustellen, wie sehr die Welt des späten Mittelalters durch den Glauben geprägt war. Diese starke spirituelle Ausrichtung äußerte sich in zum Teil widersprüchlichen Phänomenen. Natürlich wuchs auf diesem Boden manch Irrationales. Viele Wundergeschichten, die dem gläubigen Menschen damals als Indiz der Gegenwart Gottes galten, würden heute wohl belächelt. Der Glaube an die vermittelnde Kraft der Heiligen und der Engel lässt sich scheinbar nicht vereinbaren mit unserer nüchternen Rationalität. Wir sind vorsichtig geworden, vermuten die falschen Propheten gerade in diesem Bereich; um alsbald vielleicht auf neue Propheten hereinzufallen, von denen es auch heute mehr als genügend gibt. Wohl jede Zeit hat ihre Irrungen, aber auch Facetten, die uns in Erstaunen versetzen, wenn wir uns nur von ihnen ergreifen lassen.
    Neben vielen Irrationalitäten zeigt das späte Mittelalter zugleich einen durchaus sehr reifen, angemessenen Umgang mit Rationalität: Nicht wenige Wissenschaftler dieser Zeit sind sich der Kraft des Verstandes bewusst, doch unterwerfen sie sich ebenso wenig dem Diktat der Rationalität wie den Dogmen der Institution Kirche. Ihnen ist bewusst, dass der menschliche Verstand vieles ordnen und durchdringen kann; doch scheint es unter ihnen zugleich eine Art Grenzbewusstsein zu geben: Der Mensch ist in der Lage, Fragen zu stellen, auf die die Welt keine Antwort gibt. Der Raum des Unbegreifbaren ist riesengroß. Die Ehrfurcht vor der letztlich unergründlichen Tiefe allen Seins führt zum Glauben. Die Erbauer der großen Kathedralen waren begnadete Architekten. Wer die Zeichnungen im Musterbuch des Villard de Honnecourt betrachtet, erkennt, welch immenses Wissen und welche Erfahrung die Baumeister besessen haben. Die Philosophen und Theologen der Scholastik sind umsichtige Denker gewesen, die die Grenzen des menschlichen Verstandes ausloteten. Dennoch zweifelten sie nicht an der Existenz dessen, was der Verstand nicht fassen kann. Das Erhabene der Welt stand ihnen vor Augen. Und so waren ihnen Glaube und Wissenschaft kein Widerspruch. Die Ordnung der Welt wurde zurückgeführt auf göttliche Prinzipien. In der Magie der Zahlen versuchte man diese Weltgesetze aufzufinden und manifestierte sie in der architektonischen Harmonie der Kathedralen. Auch in der Abfolge und der Liturgie der Stundengebete findet man diese Ordnung wieder. Und es gab Menschen, die angesichts der Begrenztheit menschlichen Verstehens den Schluss zogen, bewusst den Weg mystischer Erfahrung zu gehen.
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    Wer sich für ein Leben im Kloster entscheidet, den erwartet eine Welt der Stille und des Gleichmaßes. Die Stundengebete geben dem Tag Struktur. Sie bilden einen äußeren Rahmen, der es ermöglicht, innere Stille zu finden und sich mit allen Sinnen auf das Göttliche auszurichten.
    Ein Roman, der die Welt des Klosters darstellen möchte, wird in einer Weise erzählen, die das Phänomen des Gleichmaßes im Lesevorgang erfahrbar macht. Inhalt und Form müssen harmonieren. In diesem Buch gilt das zunächst für die Darstellung der Novizenzeit des Johannes von Nienburg. Doch auch in vielen anderen Zusammenhängen wird das kontemplative Moment gegenwärtig. So ist etwa die Ausbildung am Bogen – zu damaliger Zeit eher eine Ausnahmeerscheinung – in diesem Sinne zu verstehen, denn der Bewegungsablauf des Bogenschießens ist hochkomplex. Nur wer es gelernt hat, seine Affekte und seinen Geist zur Ruhe zu bringen, wer Funktionalität und Effektivität vergessen und die nötige Gelassenheit erworben hat, kann diese Kunst meisterlich ausüben. So bedeutet auch der Weg des Bogens, Abstand von sich selbst zu gewinnen, so dass innere Stille einkehren kann.
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    Das späte Mittelalter ist eine Zeit der Sagen, Mythen und Geheimnisse. Wer kennt sie nicht, die Geschichten um König Artus, um
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