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Das Vermächtnis des Templers

Das Vermächtnis des Templers

Titel: Das Vermächtnis des Templers
Autoren: Christoph Andreas Marx
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ein Wunder glauben? Ihr spracht davon, dass ein Mann zuvor die Außenwand eines Kirchturms erklettert habe. Allein dies erscheint unglaublich.
    Wir werden wohl nie erfahren, was damals wirklich geschehen ist. Für uns, die wir Jahre später davon hören, klingt all das absonderlich. Aber besteht die Stärke des Glaubens nicht eben darin, das Unbegreifliche für möglich zu halten? Wie würdet Ihr benennen, was mir in der Klosterkirche zu Lucca widerfahren ist, als ich den Grundriss zeichnete, als mir im Bruchteil eines Augenblicks seine Besonderheit offenbar wurde?
    Alle Dinge haben ihre Zeit. Auch ich brauchte Zeit, um aus tiefstem Herzen zu verstehen, dass der Herr von Anfang an diesen Ort für mich vorgesehen hatte. Und dennoch war all das notwendig, all die Strapazen, all die Reisen durch das Ungewisse, die Rituale und Symbole, das Studium der Theologie und der Baukunst, die Einsicht in das Geheimnis der Templer. Alle Hindernisse, alle Leiden und Freuden waren unverzichtbar für die Schärfung des Geistes und der Sinne. So hat die Kunst des Bogenschießens mein Fühlen und meine innere Haltung in der Kontemplation zutiefst geprägt. Ich habe gelernt, dass ich selbst ein Pfeil bin, der den Bogen verlassen hat, um sein Ziel zu finden; und dass der, der den Bogen einst gespannt hat, mich wieder aufnehmen wird.
    Vielleicht ist auch die Flucht aus Laon letztlich segensreich gewesen. Es war wohl nicht meine Bestimmung, weiter in die Welt zu ziehen, sondern dort zu dienen, wo all das, was ich lernen durfte, gebraucht wurde. Und doch bleibt ein Bruch in meinem Herzen, denn die Flucht trennte mich von einem Menschen, den ich zutiefst geliebt habe. Nichts kann mich versöhnen angesichts des Schmerzes, für den ich keine Worte finde.
    Ich lebte von nun an in Lucca, am Ende der Welt, als Johannes von Nienburg. Lefhard hatte mir inzwischen diesen Beinamen gegeben, um für mögliche Verfolger der Inquisition alle Spuren zu verwischen.
    Ihr werdet Euch sicher fragen, wie man weiterhin als Mönch leben kann mit dem Wissen um jene Geheimnisse, in die ich eingeweiht wurde und die auch Euch nun bekannt sind.
    Was bleibt uns, wenn das Kreuz unvollkommen ist? Wenn die Dogmen der heiligen Kirche fragwürdig geworden sind? Wenn die Schöpfung nicht vollendet ist, der Mensch nicht den Einklang mit der Welt finden kann, seine Unruhe und all seine Fragen ihm immer bleiben? Wenn alles ein großes Rätsel ist und das Leben des Menschen kurz und voller Unruhe? Vor einigen Jahren habe ich noch einmal Augustinus gelesen und bin auf einen Satz voll Weisheit gestoßen: «Geschaffen hast Du uns zu Dir, und ruhelos ist unser Herz, bis dass es seine Ruhe hat in Dir.» Seltsam, Augustinus scheint bereits alles gewusst zu haben. Wir werden keine Ruhe finden, aber wir wissen, dass unser Leben auf Gott ausgerichtet ist und dass, wenn es ein Heil gibt, es nur durch ihn zu erwarten ist.
    Und so blieb ich Mönch. Ein Mönch, der die Wahrheit der Stundengebete zunächst nur hörte und nicht verstand, der sich über viele Jahre in diese Wahrheit einlebte und sie schließlich zum Teil seines Selbstgesprächs und Gesprächs mit Gott machte. Zunächst war ich es, der diese Stundengebete trug; nun sind es längst die Stundengebete, die mich tragen.
    Doch es ist nicht genug, ein Leben der Zurückgezogenheit zu führen. Bliebe es dabei, liefe man Gefahr, sich mit der Ungerechtigkeit und dem Leiden der Welt abzufinden. Was also ist zu tun, und was ist nicht zu tun? In gewisser Weise fand ich eine Antwort in den Schriften des heiligen Bernhard. Er schreibt: «Was haben die heiligen Apostel uns denn gelehrt und was lehren sie uns noch? Nicht das Fischen, nicht das Zelttuchweben oder etwas dergleichen! Sie unterweisen uns nicht, wie man Platon lesen und die Spitzfindigkeiten des Aristoteles erörtern soll. Sie lehren uns nicht, ewig drauflos zu lernen, ohne doch jemals zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen. Sie haben mich leben gelehrt. Meinst du, es sei eine geringe Sache, zu leben wissen? Etwas Großes ist es! Ja, das Größte!»
    Jesus selbst hat uns gelehrt, das Leben zu fördern, es zum Wachsen zu bringen, überall, wo uns dies möglich ist. Wir Zisterzienser legen Sümpfe trocken und machen so die Erde fruchtbar. Wir stellen unser eigenes Leben in den Dienst Christi, um für das Gute zu beten, um den Leidenden zu helfen und die Welt gerechter zu machen. Oftmals gelingt das nicht, aber man darf diese Hoffnung nicht verlieren. Und so üben wir uns in Demut und
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