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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Inneren wütete Girolamo Savonarola von der hohen Kanzel aus und verschüchterte die Menge, die gekommen war, um ihn zu hören.
    Die Predigt war mittlerweile zu ihrem Ende gekommen: Savonarola hatte mit einer minutiösen Beschreibung der menschlichen Todsünden, die Christus seine Wunden beigefügt hatten, die Seelen angeheizt und die Gemüter erregt. Die akribische Auflistung der zu erwartenden Bestrafungen durch den göttlichen Vater lösten Angst und Panik bei den Zuhörenden aus; einige fielen gar in Ohnmacht. Für Savonarolas Kritik an der Dekadenz und der Korruption am römischen Hofe war ihm bereits mehrfach die Exkommunizierung angedroht worden, was ihn jedoch nicht daran hinderte, weiter zu wettern – ganz im Gegenteil. Seine Stimme klang nun ernst und durchdringend und bohrte sich wie ein Schwert in die Herzen der Gläubigen, wo sie Verachtung und Empörung über die Frevel der Kirche säte. Die letzte Spitze hatte sich der Mönch mit der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze jedoch für seinen größten Feind aufgehoben: Papst Alexander VI., der seit fünf Jahren auf dem Kirchenthron saß.
    »Verflucht seiest du«, rief Savonarola, »der du dich mit den Sündern gemein machst und nicht nur jedem Rock hinterherrennst, sondern auch allen Knechten. Der du Gefallen daran findest, Reichtümer anzuhäufen und deine Feinde zu exkommunizieren – doch wisse, du Frevler: Vor Gott bist du der Exkommunizierte!«
    Als der keifende Mönch zum Ende seiner Tirade gekommen war, kehrte im Kirchenschiff eine erwartungsvolle Ruhe ein. Als er weitersprach, blieb Savonarolas Stimme zwar eindringlich, klang jedoch ruhiger.
    »Nun geht, meine Kinder, und eilt, denn die Gnade wartet nicht auf euch. Und denkt daran: Wer Eitelkeiten und Sünden der Welt nicht entsagt, wird auf ewig verdammt sein!«
    Draußen, vor der Ziegelfassade, hatten Diener und Vasallen Savonarolas bereits Möbel, Spiegel, Bilder, bestickte Gewänder, Musikinstrumente, Spielkarten und Geschmeide aufgetürmt – in einer genau festgelegten Reihenfolge: Sieben verschiedene Schichten waren jeweils zu einer Pyramide aufgetürmt, und jede symbolisierte eine der sieben Todsünden. Der venezianische Kaufmann, der dreist 1.000 Goldflorinen zur Sühnung seiner Frevel bot, hätte für sein Ansinnen beinahe die Peitschen der Piagnoni zu spüren bekommen – Savonarolas eifrigste Anhänger – und war geschwind in der Menge verschwunden. Draußen vor der Kirche warteten unterdessen die Diener der Gottesdienstbesucher, um anzügliche und philosophische Bücher den Flammen zu übergeben. Der Scheiterhaufen war bereits höher als die Lünette des Kirchenportals. Noch vor drei Jahren hatten Adlige und reiche Kaufleute die heilige Messe zum Anlass genommen, um ihre Bibermäntel, die Zobelstolas und die edelsteinbesetzten Westen zur Schau zu stellen, während die Damen tiefe, mit Perlen ummantelte Ausschnitte und lange, gold- und silberbestickte Damastgewänder ausführten. Nach dem Gottesdienst war gelacht und gescherzt worden, waren unter heimlichen Blicken und Berührungen Intrigen gesponnen und Verlobungen ausgehandelt worden. Nichts davon war geblieben: Die Prozession der Gläubigen, die gemessenen Schrittes die Kirchenstufen herabstieg und sich um den großen Scheiterhaufen versammelte, war – entgegen der opulenten Mode – einfach und bescheiden in Schwarz gekleidet; die Frauen mit Schleiern verhüllt. Die Hitze, die sich über die eisige Luft legte, wärmte zwar die Körper, nicht jedoch die Herzen.
    Savonarola erschien als Letzter. Obwohl er die Kapuze tief über sein Gesicht gezogen hatte, erkannte man seine hervorstehende Hakennase deutlich. Er streckte seine entblößten, dürren Arme dem Himmel entgegen, und sofort begannen die Diener mit Verve, die Symbole des Reichtums ihrer Herren in das reinigende Feuer zu werfen.
    Von Weitem betrachteten ein Mann und eine Frau eng umschlungen die Szene. Der große, wohl proportionierte Mann trug sein Haar unmodisch kurz. Wie immer war er ganz in Schwarz gekleidet – einem mit feiner Seidenstickerei verzierten Wams und Beinlingen, die in einem Paar hoher geschnürter Stiefel aus dickem Leder steckten. Unter seinem schwarzen Umhang, den er über der rechten Schulter trug, lugte der Knauf eines leichten Schwertes hervor.
    »Möchtest du, dass wir gehen?« fragte er.
    Die Frau an seiner Seite schüttelte den Kopf, der halb von einem bestickten Schleier bedeckt war. Ihr langes, zu einem Zopf geflochtenes Haar, das darunter
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