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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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der die Herodes-Antipas-Lanze trug.
    »Sie sind noch nicht tot.«
    »Dann ist es unsere Aufgabe, uns darum zu kümmern.«
    Die Lanze des Königs verlieh den Männern Autorität, und der Centurio war gezwungen, sie durchzulassen. Mit brutalen Knüppelschlägen beschleunigten die Soldaten den stummen Todeskampf von Gestas und Dismas, die neben Īsā gekreuzigt worden waren, indem sie ihre Beine zertrümmerten. Erst als von den Gekreuzigten nur noch eine undefinierbare Masse aus Fleisch und Blut übrig geblieben war, zertrümmerten ihnen die Boten der Gerechtigkeit die Schädel. Nun konnte der Vertreter des Sanhedrins sicher sein, dass sie tot waren. Auch bei den Steinigungen der Frauen, die sich des Ehebruchs schuldig gemacht hatten, wurde – so wie es sich gehörte – der Tod erst offiziell bestätigt, nachdem man ihnen die Schädel eingeschlagen hatte.
    Caio Cassius zog es vor, nicht hinzusehen – das Geräusch der berstenden Knochen stieß ihn ab. Während seines Soldatenlebens hatte er alle vorstellbaren Gräueltaten gesehen oder sogar selbst begangen – aber wehrlose und sterbende Menschen so barbarisch zu massakrieren verstieß gegen den Ehrenkodex eines Soldaten. Nicht einmal bei der Enthauptung eines getöteten Gegners war er so brutal vorgegangen – was die Soldaten mit den Gekreuzigten gemacht hatten, war nicht einmal bei Tieren statthaft.
    Īsā wurde aus seinem Nebel eher von dem Geräusch berstender Knochen als von den Schlägen selbst geweckt. Er wusste, dass er als Nächster an der Reihe sein würde und dass ihn dieses Mal nichts und niemand würde retten können. Īsā ließ also so viel Luft wie möglich aus sich herausströmen, um sich erneut zu betäuben, und bereitete sich darauf vor zu sterben.
    Caio Cassius betrachtete seine Soldaten, die friedlich in einem Würfelspiel versunken waren, und dachte kurz über seine Situation nach. Wenn er sich weiterhin untadelig verhielt, würde er ein Stück Land in Byzanz erhalten oder, wenn er Glück hatte, gar in Kantabrien. Vielleicht würde er sogar genug Geld haben, um sich ein Eheweib zu kaufen – auch wenn er nicht viel mit ihr anfangen könnte – außer vielleicht in einer kalten Nacht. Genauso gut konnte ihn jede beliebige Dirne für ein paar Sesterzen befriedigen.
    »Hier habe ich die Hoheit über die Rechtsprechung«, sagte er mit zornverzerrtem Gesicht und riss dem Judäer die Lanze aus der Hand. Er schaute den Mann am Kreuz an, der zu verstehen schien, was nun geschehen würde, denn er schloss seine Augen. Mit einer schnellen Bewegung stieß der römische Offizier Īsā die Lanze in die Brust und brach ihm dabei eine Rippe. Caio Cassius wusste, wo und wie er zustoßen musste.
    »Er ist tot!«, rief er triumphierend. »Das Blut fließt nicht mehr.«
    Er befahl zwei der Seinen, das Kreuz zu bewachen, und drückte dem Vertreter des Sanhedrins barsch die Lanze in die Hand. Dieser war sprachlos, hatte aber keine Einwände. Caio bedeutete ihm abzutreten. Er war sich sicher, dass der Soldat ihn denunzieren würde. Der Offizier ging auf seine würfelnden Leute zu und raunzte sie an, sie sollten es nicht wagen, beim Spiel zu betrügen – sollte er sie erwischen, würde er ihnen eigenhändig die Kehle durchschneiden. Dann befahl er ihnen, die fremden Soldaten durchzulassen, und griff nach den Würfeln. Er war äußerst zufrieden mit sich. Er würde zwar seinen Alterssold verlieren, und es stand zu befürchten, dass ihm weitere fünf Jahre Krieg in irgendeiner Provinz aufgebrummt würden – andererseits war es aber angenehmer, an irgendeinem Fieber zugrunde zu gehen, als aus Langeweile zu sterben.
    Gua Li legte die Hände mit nach oben gerichteten Fingern aneinander, beendete ihre Erzählung und wartete auf eine Reaktion. Erwartungsvoll sah sie Ada Ta an, doch der alte Mönch strich sich lediglich mit der Hand über den glänzenden Schädel und schien dabei ein Mantra zu murmeln. Die junge Frau stand auf, hob die rechte Fußsohle bis zum linken Knie hoch und beugte die Arme.
    Ada Ta nahm keine Notiz davon und meditierte weiter. So lange, bis die Sonne den gesamten Himmelsbogen durchwandert hatte. Langsam färbten sich die Gletscher rot und blau, und die vier Sterne gingen auf. Die Sterne, die zum ersten Mal am Todestag Buddhas am Firmament erschienen waren.
    »Bist du es immer noch nicht leid, den Kranich zu machen?«, fragte Ada Ta.
    »Der Kranich wird mit seinen Schwingen die Schlange besiegen«, erwiderte die junge Frau mit Nachdruck.
    »Und wenn
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