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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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sich ein langsam anschwellender Klagegesang über die Stille legte. Gerade so, als hätten die Gedanken Savonarolas eine Stimme bekommen. Alle drehten sich in Richtung des Gesangs, und da kamen sie aus den seitlichen Gärten der Kirche: die Büßer in ihren Kapuzenumhängen. Die Prozession sah von Weitem aus wie der Kopf einer sich langsam dahinwindenden satten Schlange. Je näher die Singenden kamen, desto schauriger klangen ihre inbrünstigen Gebete.
    Ihre nackten Oberkörper geißelten die Männer mit Peitschen aus Stacheldraht und geknoteten Seilen. Ihre Rümpfe waren blau und rot geschwollen, sie bluteten aus zahllosen Wunden, und ihre weißen Beinkleider waren blutgetränkt. Leonora wandte sich ab und barg ihren Kopf an der Schulter ihres Gatten.
    »Lass uns gehen«, sagte sie. »Ich bitte dich.«
    Doch Ferruccio hielt sie zurück. Unter den Büßern hatte er einen Mann erspäht, der dort nicht hingehörte.
    »Nur noch ein Moment, Liebste. Warte hier, ich bin gleich zurück«, sagte er, ließ Leonora zurück und hastete die Treppen hinauf. Sein Herz pumpte so kräftig, dass er die Kälte nicht mehr wahrnahm. Mit großen Schritten folgte Ferruccio den Blutlachen auf den Gassen, bis er die Büßergruppe eingeholt hatte. Zwischen dem Gewirr aus rudernden Armen und tanzenden Peitschen erkannte er Amos Gemignani wieder. Jetzt war er in Ketten gelegt und steckte in einem Sack; damals hatte der bescheidene jüdische Bankier unter dem Schutz des Prächtigen gestanden.
    Um seinen Sold einzulösen, den ihm die De’-Medici-Familie bezahlte, war Ferruccio oft in Amos’ Geschäft gewesen, das versteckt in einem Hinterhof des Bankenviertels lag. Ferruccio war erstaunt, ihn hier zu sehen, denn Amos war sofort nach Volterra geflohen, als Savonarola in der Republik Florenz das Verbot der Zinsgeschäfte durchgesetzt hatte. Dieses Verbot hatte die De’-Medici-Bank damals beinahe ruiniert, erinnerte er sich. Was also machte Amos in Florenz? Welche Sünden mochte der sanftmütige Mann begangen haben, dass er an den Pranger gestellt wurde? Amos’ Bart war von seinem eigenen Blut durchtränkt und sein langes krauses Haar ausgerissen worden.
    Ferruccio umfasste den Knauf seines Schwertes fester und bahnte sich entschlossen einen Weg durch die gemarterten Körper. Ein Büßer holte aus, und einen Moment lang glaubte Ferruccio, er würde ihn schlagen. Weil jedoch keiner seiner Glaubensbrüder es ihm gleichtun wollte, zog der Mann seine Hand zurück. Ferruccios Statur und seine Entschlossenheit brachten die Betenden aus dem Rhythmus. Die Litanei stockte, und als Ferruccio vor dem Juden die Knie beugte, legte sich Stille über die Piazza.
    Instinktiv schützte der Alte seinen Kopf mit den Armen, die er wegen der schweren Ketten kaum heben konnte. Dann sah er ihn erstaunt an.
    »Amos, ich bin es, Ferruccio de Mola, erinnerst du dich nicht mehr an mich? Ich möchte dir keinen Schmerz zufügen.«
    »Ihr …«
    Jetzt schien Amos ihn zu erkennen – als er antwortete, war seine Stimme jedoch nur noch ein Flüstern. Ferruccio näherte sich ihm und legte seinen Arm um Amos’ Schultern.
    Aus der Ferne beobachtete Leonora, wie sich zwei Soldaten ihrem Ehemann näherten.
    »Warum bist du hier, Amos?«, fragte Ferruccio den Gefangenen, ohne darauf zu achten, was um ihn herum geschah.
    »Ich musste … Kredite einfordern …«, flüsterte Amos, »… ich wusste nichts von dem Verbot, nach Florenz einzureisen.«
    »Ich werde mit dem Mönch sprechen, ich kenne ihn gut und werde ihm erklären, dass …«
    »Nein! Ich will nichts mehr von Euch Christen … Geht, mischt Euch nicht ein, ich bin aus freien Stücken hier. Wenn ich stillhalte und das hier durchstehe, werden sie mich gehen lassen.«
    Die Wächter standen nun direkt hinter Ferruccio, doch er bemerkte sie erst, als er die Schreie seiner Frau hinter sich hörte.
    »Er ist sein Freund«, schrie Leonora in Richtung Savonarolas, »und er bringt ihm Trost – wie es im Evangelium geschrieben steht. Er spendet ihm Trost, auch wenn er ein Sünder ist, damit er die Hölle besser ertragen kann! Oder ist das mittlerweile auch verboten?«
    Sofort richteten sich alle Blicke auf sie, und der Mob glotzte Leonora überrascht an. Diese Leidenschaft, und dann auch noch aus dem Munde eines Weibes! Der Inkarnation der Versuchungen, dem Hort des Dämons. Denn ließ es sich durch die Löcher der Weiber nicht leicht kriechen – schließlich hatten sie ja auch mehr als die Männer!
    Die Soldaten drehten sich
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