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Das Vermächtnis

Das Vermächtnis

Titel: Das Vermächtnis
Autoren: Kathryn Lasky
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geriet, aber sie war schon … Ach, lassen wir das. Es hat wohl nicht sein sollen.

Zu Beginn von H’raths Regentschaft gelang es dem jungen König, das Land vorübergehend zu befrieden. Die Ruhe danach nutzte ich zu einem Flug über das Krakische Meer, beziehungsweise das Wintermeer, wie es auch genannt wurde. Mein Ziel waren die Hinterlande. Ich hatte gehört, dass in jener entlegenen Gegend die Bergkuppen aufklaffen wie riesige Mäuler, deren Flammenzungen über den Himmel lecken.
    Feuer fand ich schon als Kind spannend. Als ich heranwuchs, stellte ich fest, dass sich mein Magen und mein Geist beruhigten, wenn ich ins Feuer blickte. Wann immer ich betrübt war, schwang ich mich in die Lüfte und suchte mir einen vom Blitz entzündeten Baum oder einen ausgewachsenen Waldbrand.
    Schon bei meinem ersten Besuch in den Hinterlanden hellte sich meine Stimmung spürbar auf. Daraufhin unternahm ich immer wieder kurze Ausflüge dorthin. Ich machte die Bekanntschaft der gastfreundlichen Urzeitwölfe, die sich auf der Suche nach einem neuen Revier in den Hinterlanden niedergelassen hatten. Mit ihrem Anführer, einem riesenhaften silbergrauen Wolf namens Fengo, verband mich bald eine enge Freundschaft. Fengo und ich verbrachten viele Stunden damit, Vulkanausbrüche zu beobachten. Unsere Aufmerksamkeit galt insbesondere den Flugbahnen der Glutstücke, die zusammen mit der Lava ausgespien wurden. Damals, lieber Eulenleser, waren nämlich nur die zerstörerischen Eigenschaften des Feuers bekannt. In N’yrthgar gab es nicht einmal ein Wort für „Feuer“, denn bei uns gedeihen kaum Bäume. Wenn der Blitz einmal einschlägt, trifft er auf Eis oder Felsen.
    Darum war es auch nicht das Feuer, dem ich meine erste Vision verdankte. Es geschah an einem strahlend schönen Frühlingsmorgen. Meine Eltern brachten mir und meiner Schwester gerade das Fliegen bei. Wir saßen nebeneinander auf einem Hang des H’rathgar-Gletschers, auf dem man gut das Abfliegen und Landen üben konnte. Das Sonnenlicht brach sich an einem emporragenden Eisblock. Es war so gleißend hell, dass die Luft zu flimmern schien. In dem Geflimmer tauchten mit einem Mal bewegte Bilder auf. Ich wunderte mich sehr, denn eigentlich sehen wir Eulen im Hellen nicht besonders gut.
    Was ich sah? Mich selbst, wie ich nach den Anweisungen meines Vaters flatternd von einem Eishügel zum nächsten hüpfte. Ganz plötzlich wusste mein Magen, wie ich mich vom Wind tragen lassen konnte. Mit dem nächsten kräftigen Flügelschlag war ich in der Luft. Meine Eltern waren sprachlos. Meine Schwester Yurta weinte sogar vor Neid. Doch im Lauf des langen dunklen Winters, der auf den kurzen Sommer folgte, vergaß ich mein Erlebnis.
    Die Erinnerung daran kehrte erst zurück, als ich meinen ersten Waldbrand sah. Ich hatte mit meiner Mutter einen Ausflug auf eine Insel im Bittermeer unternommen. Ein Gewitter zog auf. Der Baum neben unserem wurde vom Blitz getroffen und stand im Nu in Flammen. Meine Mutter und ich flüchteten. Doch der Anblick des Feuers schlug mich so in seinen Bann, dass ich mich immer wieder umdrehen musste. In den lodernden Flammen erblickte ich meine erste richtige Vision. Sie handelte vom Feuer, aber nicht von seiner Zerstörungskraft, sondern von seinen schöpferischen Eigenschaften. Ich sah keine brennenden Vögel oder panisch fliehenden Vierbeiner, sondern Eulen, die mithilfe von Feuer nützliche Dinge herstellten. Was das für Dinge waren, wusste ich nicht, spürte jedoch, dass sie den Eulen gute Dienste leisteten. Das Sonnenlicht hatte mir seinerzeit meine eigene Gegenwart gezeigt und mir das Geheimnis des Fliegens offenbart. In den Flammen des Waldbrandes glaubte ich die Zukunft zu sehen. Von da an hatte ich nur noch ein Ziel: Ich wollte die Vorzüge des Feuers erforschen. Dafür musste ich herausfinden, wie ich selbst Feuer machen und es dann zähmen konnte.
    Weil es in N’yrthgar, wie schon gesagt, so gut wie keine Waldbrände gab, flog ich noch einmal zum H’rathgar hoch. Es war wieder Frühling und die Sonne gewann mit jedem Tag an Kraft. Das Eis des Gletschers schmolz auch in der warmen Jahreszeit nicht. Ich hoffte, in dem vom Eis zurückgeworfenen Sonnenlicht abermals Bilder zu erblicken. Ich wollte meine Visionen besser verstehen lernen.
    In diesem Frühling und Sommer unternahm ich zahlreiche Ausflüge zum Gletscher. Die für N’yrthgar typischen katabatischen Winde waren in jenem Jahr besonders stürmisch. Auf ihnen zu reiten, bereitete mir großes
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