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Das Vermächtnis

Das Vermächtnis

Titel: Das Vermächtnis
Autoren: Kathryn Lasky
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geschmolzenen Sand ebenfalls „Glossen“ oder kurz: „Gloss“. Leider begann mit dieser Entdeckung auch ein Abschnitt meines Lebens, für den ich mich noch heute entsetzlich schäme. Doch ich bin es dir schuldig, ehrlich zu sein, lieber Eulenleser, und darum will ich dir nichts verschweigen.

Bald nachdem wir das Gloss entdeckt hatten, holte mich der Bote Joss nach N’yrthgar zurück. Es war aber nicht wieder Krieg ausgebrochen, sondern ich sollte an der großen Lemmingjagd teilnehmen. Diese Jagd richtete ein mächtiger Fürst namens Arrin aus.
    Fürst Arrins Revier war die Gegend am Reißzahnfjord. Dort gab es große Vorkommen von Issen blu, so nannte man das bläuliche Eis, aus dem in N’yrthgar die meisten Waffen hergestellt wurden. Außerdem lebten am Reißzahnfjord zahlreiche Schnee-Eulen, die als besonders fähige Krieger galten. Auch als Lemmingjäger taten sich diese Eulen hervor. Deshalb wurde die jährliche Jagd in ihrem Revier abgehalten.
    Alle diese Umstände machten Fürst Arrin zu einem wichtigen Verbündeten des Hohen Königs. Hinzu kam, dass der Fürst furchtbar eitel war. Es hätte ihn schwer gekränkt, wenn ich nicht an seiner Jagd teilgenommen hätte. Als König H’raths Berater war es auch meine Aufgabe, jedes Jahr die sogenannten Eisrechte mit Arrin neu auszuhandeln. Die Eisrechte erlaubten es König H’rath, im Sommer am Reißzahnfjord Issen blu zu ernten. Sie wurden jedoch nur für die Dauer eines Jahres vergeben, und die Verhandlungen waren immer eine heikle Sache.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Ruf des Königs zu folgen. Zu viel stand auf dem Spiel. Es tat mir zwar leid, meine Studien unterbrechen zu müssen, aber ich freute mich auch auf die Jagd. Es ging nämlich nicht nur darum, möglichst viele Lemminge zu erbeuten, das Ganze war auch ein großes Fest. Den Höhepunkt stellte der Windtanz dar. Dabei tanzten wir auf den katabatischen Winden unserer Heimat.
    Wie jedes Jahr war Fürst Arrin ein großzügiger Gastgeber. Der Bingelsaft floss reichlich. Eine Truppe Stromer trug ebenfalls zur Unterhaltung bei. Stromer nannte man umherziehende Eulen, die keinen festen Nistplatz hatten und sich ihr Futter durch Betteln oder Stehlen verschafften. Die meisten anderen Eulen schauten auf die Stromer herab, aber sie waren großartige Musikanten und bereicherten jedes Fest. Sie waren auch lustig anzuschauen, denn sie schmückten sich mit den ausgefallenen Federn anderer Vögel und hängten sich Flechten und Beerenranken um. Im Windtanz waren sie unübertroffen. Vor allem jedoch waren sie für ihre Lieder berühmt. Es waren teils fröhliche Tanzweisen, teils melancholische Balladen. Es ist wahrhaftig ein unvergessliches Erlebnis, in einer sternklaren Sommernacht dem Gesang eines Stromers zu lauschen.
    Als ich nach der großen Lemmingjagd in die Hinterlande zurückkehrte, war ich zuversichtlich, dass ich diesmal länger bleiben konnte. In N’yrthgar herrschte weiterhin Frieden. Die Eisrechte für König H’rath waren um ein weiteres Jahr verlängert. Obendrein hatten die Überfälle der Hägsdämonen deutlich nachgelassen. Fürst Arrin behauptete, das sei sein Verdienst. Alles war in bester Ordnung – dachte ich zumindest.
    Kurz nach meiner Ankunft unternahm ich einen Erkundungsflug zu einem Vulkan im Nordwesten des Kreises. Er war schon länger nicht mehr ausgebrochen. An seinem Fuß gab es eine große Fläche mit dem Sand, aus dem man Gloss herstellen konnte. Inzwischen war ich Fengos Rat gefolgt und hatte den Gedanken an die Eulenglut verdrängt. Doch als ich nun um den Vulkan herumflog, fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Es war, als verwandelten sich die Felsenhänge in durchsichtiges Gloss. Ich konnte plötzlich in den Berg hineinschauen. Hatte ich eine Vision? Bei jedem meiner Besuche in den Hinterlanden wurden die Bilder deutlicher, die ich im Feuer sah, aber das hier war ganz anders als die Visionen, die ich kannte. Ich erblickte in dem Vulkan etwas rot Leuchtendes, in dessen Mitte es bläulich und grün flackerte. Mein Magen zog sich zusammen. Das konnte nur die Glut von Hoole sein!
    Ich vergaß den Sand, den ich mir hatte anschauen wollen. Ich flog direkt über den Krater. Unter mir brodelte die Lava. Auf einmal beruhigte sich die Oberfläche und eine dicke Blase stieg empor. In der Blase erspähte ich das hin und her kullernde Glutstück. Mir war, als riefe es mich zu sich. Jetzt hole ich es mir! , dachte ich. Ich schraubte mich in die Höhe und hielt Ausschau nach einem
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