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Das verlorene Ich

Das verlorene Ich

Titel: Das verlorene Ich
Autoren: Vampira VA
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verkrampften sich. Übergangslos brach sie in Tränen aus. Der Mann mit der Zigarre verschwamm vor ihren Augen.
    »Glaub nur nicht, daß du mich damit beeindrucken kannst«, hörte sie ihn sagen. Doch dann fühlte sie seine Hand auf ihrer Schulter, und er fügte, schon ein wenig versöhnlicher, hinzu: »Hör auf, mir Märchen zu erzählen, und ich will vergessen, wie ihr mit mir umgesprungen seid!«
    Lilith wischte sich über die Augen. »Wo haben Sie mich gefunden?«
    »Dort, wo ich seit Monaten nach Feierabend vorbeifahre, weil Beth sich vor ihrem Verschwinden auffällig für die Straße interessierte. Ich hatte nicht wirklich Hoffnung, sie dort zu finden. Aber dafür fand ich dich. Du kamst wie von Furien gehetzt von diesem Grundstück gerannt, auf dem es nicht geheuer ist .«
    »Wie heißen Sie?« fragte Lilith.
    »Moskowitz. Fotograf beim Sydney Morning Herald.«
    »Und Sie kennen mich?«
    »Kennen ist zuviel gesagt ... ich kannte Beth, und sie war ja dauernd mit dir zusammen. He, du willst mir doch nicht wirklich weismachen, daß du nicht mehr weißt, wer Elisabeth MacKinsey ist?«
    »Aber ich erinnere mich tatsächlich nicht! Ich bin nach Sydney gekommen, weil ich diese Adresse fand, die mit meinem Namen zusammenzuhängen schien ... Aber dort lebt niemand mehr. Dort ...« Sie biß sich auf die Lippe.
    Moskowitz drehte sich von ihr weg, griff nach dem Zündschlüssel und startete den Wagen wieder, den er zuvor abgewürgt hatte.
    »Was jetzt?« fragte Lilith und spürte, wie die Zukunftsangst sich wie eine Schlinge um ihren Hals legte - eine Schlinge, die langsam zugezogen wurde.
    »Wir fahren zu mir - fürs erste jedenfalls. Dort reden wir weiter!«
    »Über Beth?«
    »Über alles.«
    Lilith korrigierte die Rückenlehne und setzte sich zurecht.
    Sie fror, obwohl es nicht kalt war. Das Kleid, das sie trug, wärmte nicht. Tote Dinge - selbst wenn sie vorgaukelten zu leben - schenkten keine Wärme.
    Lilith seufzte. Der Alptraum, den sie auf - oder unter - dem Anwesen 333, Paddington Street erlebt hatte, schwang wie eine düstere Melodie in ihr nach.
    Eine Melodie, die darauf wartete, verstanden zu werden .
    *
    Paris
    La Defense schien wie ein Stück einer anderen Welt. Der moderne Hochhausbezirk klebte an der westlichen Peripherie von Paris und überragte dessen Häusermeer wie ein unförmiger Koloß aus Stahl, Beton und Licht. Die Gewitterwolken schienen, von hier unten aus besehen, die höchsten Etagen der Türme zu berühren und zu umhüllen.
    Trotz der frühen Stunde war Vautiers Gebäude nicht ganz verlassen. Und so fielen Hector Landers und Jerome Vautier natürlich auf, als sie die riesige Eingangshalle betraten - vor allem ihrer Kleider wegen, denen noch immer die Feuchtigkeit und der Gestank der Seine anhingen.
    Aber niemand vermochte sie ernsthaft aufzuhalten. Wer es versuchte, hatte unter Landers' eisigem Blick schon im nächsten Moment vergessen, daß er ihnen begegnet war.
    Jerome führte seinen Herrn zu einem Lift, dessen Tür etwas kleiner war als die anderen. Auf Knopfdruck kam die Kabine von ganz oben herab. Sie betraten den Aufzug, und Jerome gab eine Zahlenkombination ein, die er auch als Dienerkreatur in all den Jahren nicht vergessen hatte.
    Landers lächelte grimmig. Er brachte Giordan Vautier den verlorenen Sohn zurück.
    Wie würde er sich doch freuen ...
    *
    Das Gewitter hatte Paris aus seinen Klauen gelassen. Nach Osten hin hatten sich die schwarzen Wolken verzogen. Einem dunklen Gebirge gleich zeichneten sie sich dort am Horizont ab und verbargen das erste zarte Licht des neuen Tages vor Giordan Vautiers Augen.
    Aber der alte Mann wußte, daß ihm der Anblick ohnedies nichts bedeutet hätte. Wohl hätte er sich gewünscht, daß ihm das Heraufdämmern dieses neuen Tages etwas wie Hoffnung bedeuten würde; Hoffnung darauf, daß ein neues, wenn auch gewiß das letzte Kapitel seines Lebens begänne. Doch diese Hoffnung hätte sich nicht erfüllt. Denn alles war anders, als Giordan Vautier es sich in all den Jahren vorgestellt hatte.
    Der Tod Hector Landers' bescherte ihm nicht jenes Hochgefühl, das er erwartet hatte. Wohl empfand er etwas wie Triumph ob des endlich Vollbrachten, aber er verspürte nicht den Hauch jener tiefen Zufriedenheit, die ihm sein Tod hätte bedeuten müssen.
    Viel eher fühlte er sich leerer denn je zuvor. Ganz so, als hätte man seinem Leben und Streben den letzten Sinn genommen. Nun endlich hatte Giordan Vautier sein Ziel erreicht. Und jetzt gab es nichts mehr, was
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