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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme
Autoren: Boris Koch
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Aufrührern wie Akse. Ein unbestechlicher Ritter, der jeder Abweichung von den reinen Lehren des Ordens aufs Entschiedenste entgegentrat. Im Kloster und im gesamten Umland.

    Ben starrte zu der großtirdischen Küste hinüber, sie wirkte dunkel und karg. Die Erinnerung an seine Gefangenschaft verfolgte ihn noch immer im Traum, wie auch das Bild von Aiphyrons abgehackten Flügeln.
    Wieder und wieder hatten sie mit den Menschen dort drüben geredet, doch die meisten wollten die Wahrheit nicht hören. Oder nur, um sie wie Finta verdreht zu ihrem Vorteil zu nutzen.
    »Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, wir haben gar nichts erreicht«, sagte er zu Aiphyron.
    »Nichts erreicht?« Schmunzelnd schüttelte der Drache den Kopf. »Ihr Menschen mit eurer Ungeduld. Schau dich doch um. Wir haben eine sichere Festung gefunden und neue Verbündete. Als du vor einem knappen Jahr auf mich gestoßen bist, warst du auf der Flucht und allein, und ich hatte einen Flügel verloren. Gesucht werden wir noch immer, aber wir haben Freunde, Juri und Nica, Feuerschuppe, Yanko und Marmaran. Und Anula liebt dich. Wir haben dem Orden die Stirn geboten, vier Menschen vor dem Galgen gerettet, und sogar ein Knappe hat die Seiten gewechselt. Das nennst du nichts?«
    »Hm.« Ben warf einen Stein in die Wellen. »Aber die meisten glauben uns nicht.«
    »Eine derartige Lüge ist schwieriger zu besiegen und langlebiger als alle Hohen Äbte zusammen. Wirkliche Veränderungen benötigen Zeit, aber wir haben sie angestoßen. Die Wahrheit ist in der Welt, und der Einfluss des Ordens schwindet, auch wenn er es noch nicht wahrhaben will. Wir haben Zweifel gesät, und obwohl der neue Abt mit aller Härte vorgehen wird – solange wir da sind, wird er nie alle Zweifel an der Lüge des Ordens ausmerzen können.«

    »Meinst du wirklich?« Wieder blickte Ben über das ruhige Meer, und der Küstenstreifen am Horizont erschien ihm plötzlich viel freundlicher.
    »Ja. Der Orden wird nie wieder die Macht haben wie in den Tagen, bevor wir ihm entgegengetreten sind. Und eines Tages wird sie ganz verschwunden sein.«
    Das klang gut. Nun mussten sie nur noch verhindern, dass stattdessen gierige Händler wie Finta Dogha die Macht übernahmen. Warum konnte das Zusammenleben nicht überall so friedlich und freundlich sein wie hier im Verlies der Stürme?
    »He, Ben, du dürrer maskenloser Möchtegernheld!«, schrie Yanko aus einem hoch gelegenen Turmfenster. »Ich hab mit Nica und Anula noch mal unsere Muscheln gewogen, und meine ist schwerer als deine. Also ist sie auch größer, du Schwächling!«
    »Was?« Ben wirbelte herum. »Du betrügerischer Pfützentaucher hast deine doch bestimmt mit nasser Erde gefüllt!« Schimpfend stürmte er hinein, um seine Muschel und Ehre zu verteidigen.
    Hinter sich hörte er Aiphyron lachen.

ANHANG

VON DER INSEL, AUF DER DIE DUNKELHEIT VEREHRT WIRD
    Die Insel Hondorion lag inmitten des Archipels der Sternenriffe im weiten, sonnigen Südmeer. Sie war die mit Abstand größte der hundert Inseln, und auf ihr lebten weit über tausend Menschen, die alle in sauberen kleinen Häusern mit Dächern aus getrockneten und geflochtenen Schlangenblättern wohnten. Es waren freundliche Menschen, die ihre Gärten sauber hielten, sämtlichen Nachbarn gern aushalfen und stets dafür sorgten, dass die Kinder bei Sonnenuntergang daheim waren.
    »Wenn du nicht artig bist, holt dich der Schwarze Kriecher«, wurden die Kinder gewarnt. »Vor allem, wenn du nicht pünktlich daheim bist.«
    Der Schwarze Kriecher hauste seit Menschengedenken in der unergründlichen Tiefe unter dem Archipel und kam in den dunkelsten Nächten aus dem Loch in der Inselmitte hervor. All ihre Kraft hatten die gewaltigen Helden der hondorionischen Vorzeit darangesetzt, ihn zu töten, doch als das nicht gelang und ein Dutzend von ihnen besiegt war, hatten sie erkannt, was er wirklich war: ein Gott. Und so hatten sie ihn fortan wie einen solchen verehrt.
    Seitdem erwählten an jedem Tag vor Neumond die Hodorioner ein Kind, das sie fesselten und auf einen kunstvoll behauenen Steinblock vor der unergründlichen Höhle des Schwarzen Kriechers legten. Dann schlossen sich alle in ihren Häusern ein und lauschten auf die verzweifelten Schreie
in der Ferne. Sobald diese erstarben, wussten sie, die schleichende Dunkelheit aus der Tiefe hatte das Kind geholt. Dann war alles gut, ihr Gott hatte das Opfer angenommen, und friedliche Stille senkte sich wieder über die Insel.
    Alle waren froh,
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