Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
Mann aufblickte, der an Deck stand und sich an der behaarten Brust kratzte.
    »Turvi.« Der Mann blinzelte in die Abendsonne. Sein rechtes Auge war schmaler als das andere und schloss sich in Anbetracht des Tageslichts. Der kurze dunkle Bart und die herabhängenden Haare verdeckten beinahe sein ganzes Gesicht, doch der Einbeinige kannte die Furche zwischen den Augenbrauen und dieses Blinzeln und wusste, dass die Schmerzen wieder über Bran gekommen waren.
    Der Mann an Deck löste den Knoten der Schnur, mit der der Umhang an seinem Hals befestigt war. Ein schmutziges Hemd hing locker über seinen kräftigen Schultern. Der Hals war dick und sehnig und eine Narbe verlief quer über seine Kehle. Er rollte seinen Umhang zusammen und warf ihn in den Sand, ehe er über die Strickleiter nach unten kletterte, die an der Reling herabhing. Er klopfte Dielan auf die Schulter und kniff das rechte Auge zu. Dann hob er seinen Umhang vom Boden auf und ging zu dem Einbeinigen.
    »Du arbeitest zu viel, Bran.« Turvi humpelte ihm entgegen. »Deshalb hast du die Schmerzen.«
    Bran strich sich die Haare aus der Stirn und entblößte die weiße Narbe, die vom Nacken hinauf bis zu seinem rechten Ohr führte, dessen äußere Hälfte fehlte.
    »Die Vokkerkeule ist der Grund für diese Schmerzen.« Er ließ die Haare los und legte seinen Arm um den alten Mann. »Aber sprich doch, worüber wolltest du mit mir reden?«
    Der Einbeinige befeuchtete seine Lippen mit der Zunge. »Hagdar ist heute aus seinem Zelt getreten. Er hat es geschafft, bis zum Feuer zu gehen, und dort fragte er Vermer…« Turvi humpelte von Bran weg, verschränkte die Arme vor der Brust und verstellte die Stimme, als er tief und rau sagte: »Gibt’s noch was zu trinken, Vermer? Ich hab einen verfluchten Durst.« Turvi lachte und stützte sich mit der Brust auf die Krücke. »Du hättest Vermer sehen sollen! Er rannte los und holte den größten Weinschlauch, den er hatte. Hagdar trank ausgiebig, rülpste, dass man es im ganzen Lager hörte, und ging dann wieder in sein Zelt zurück.«
    Bran fasste sich ans Kinn und lächelte. Er blickte zu Dielan hinunter, der nicht minder überrascht aussah.
    »Das wollte ich euch mitteilen.« Turvi sah sie durch ein Netz von Lachfalten an. »Ein Mann der einen ganzen Schlauch dieses Tirganergebräus in sich laufen lässt, ist nicht mehr todkrank, da könnt ihr euch sicher sein!«
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Dielan rannte zu Turvi. »Das müssen wir feiern!«
    »Hagdar hat sich wieder hingelegt und Linvi wollte nicht, dass er gestört wird. Ihr könnt morgen mit ihm reden. Er will sicher irgendwann mit ans Meer, sich die Langschiffe anschauen und all das andere.« Der Einbeinige drehte sich um und begann wieder, den Hügel emporzuhumpeln.
    »Ich komme mit dir.« Dielan reichte ihm seinen Arm und ging gemeinsam mit dem Alten die Anhöhe hinauf.
    Bran blieb stehen, denn Turvis Worte klangen noch immer in seinen Ohren. Hagdar ging es besser. Er war bis zur Feuerstelle gegangen und hatte um Wein gebeten. Nur Hagdar konnte nach Monaten mit Wundfieber auf so etwas kommen.
    Eine Weile sah er Turvi und Dielan nach, die sich über den schlammigen Weg nach oben kämpften. Er blinzelte in die Abendsonne und schob die Hände unter seinen Gürtel. Es wurde langsam wieder kalt. Die Sonne würde bald im Meer versinken und dann würde der Frost erneut auf den Decksplanken knacken. Eis würde sich auf den Pfützen bilden und die Eiszapfen würden zu tropfen aufhören. Doch nur während der Nacht, denn der Winter war aus diesem Land geflohen.
    Als die zwei Gestalten hinter der Anhöhe verschwanden, wandte Bran sich dem Langschiff zu. Er stützte die Hände gegen den Rumpf und legte seine Stirn an die groben Planken. Seit vielen Tagen schon brannten die Schmerzen hinter der Stirn. Seit dem letzten Neumond hielten die unsichtbaren Klauen seinen Schädel umklammert. In jener Nacht war der graue Schleier zum zweiten Mal über ihn gekommen und er hatte in Tirs Schoß gelegen und geweint, doch nicht die Schmerzen ließen ihn weinen, sondern die Furcht. Er hatte Angst davor, dass es nie wieder verschwinden würde. Er lag am Feuer und starrte in die Flammen, doch er sah nur einen gelben Nebel. Und ihre Stimme klang wie ein Lied in weiter Ferne.
    Mit einem Stöhnen richtete er sich auf. Er packte seinen Nacken und fletschte die Zähne, ehe er die Zuckungen seinen Rücken herabzittern ließ. Er hatte jetzt keine Zeit für solche Gedanken. Es war der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher