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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Trockengestellen herum, die zwischen den Buden errichtet worden waren, fochten mit Holzschwertern und gingen hinter Tang und Fischhälften, die zum Trocknen aufgehängt worden waren, in Deckung. Frauen hatten auf den zahlreichen Brandstätten des Hafenareals Feuer angezündet und Fleisch und Fisch dampften bereits auf den Grillrosten. Der Hafenmeister und seine Männer hatten die Kohlelampen entlang der Kaimauer entzündet. Der Einbeinige wusste, dass dieser Tag für die Tirganer von großer Bedeutung war. An diesem Morgen waren die Langschiffe durch die Mole hereingesegelt und die Tirganer hatten am Kai gestanden und sie voller Stolz mit lauten Rufen willkommen geheißen. Das letzte Eis war unter dem Kiel der Schiffe gebrochen und die Fischer waren hinausgerudert und hatten sie an die Kaimauer gezogen. Flötenspieler hatten an der Spitze der Mole gestanden und gespielt, die Bronzetrommeln waren geschlagen worden und die Krieger hatten gesungen und sich zugeprostet.
    Der Einbeinige ließ seinen Blick über die Langschiffe gleiten. Die Mannschaften hingen in den Wanten und zogen an den Seilen, zerrten an den dicken Tauen, die sie auf Deck entrollt hatten, und trugen Säcke und Tonnen über den steilen Landgang. Es war an der Zeit, die Schiffe nach dem langen Winter instand zu setzen, und jetzt beluden sie sie bereits wieder mit Tauwerk und Gebräu. Der Einbeinige wusste wenig über die Pläne der Tirganer, aber er fragte auch nicht danach. Nach allem, was er wusste, war dies eine Arbeit, die sie jedes Frühjahr unternahmen. Und wenn sie im Laufe des Sommers zu einem neuerlichen Feldzug in See stechen sollten, würde er das nie erfahren. Denn das Felsenvolk würde dann nicht mehr hier sein.
    Die Menschen am Hafen kümmerten sich kaum um den Einbeinigen. Sie waren seine hinkende Gestalt gewohnt und nur ein paar der Männer grüßten ihn. Der Einbeinige bewegte den Kopf hin und her und murmelte irgendetwas als Antwort, denn er hatte jetzt keine Zeit, mit ihnen zu sprechen. Er kämpfte sich weiter, vorbei an Tonnen und Taurollen, hindurch zwischen den Buden der Händler, die über Standplätze und den sommerlichen Kornpreis stritten, und kam schließlich zum westlichen Ende des Hafengeländes. Hier blieb er stehen und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Sein Blick glitt zurück zu den Langschiffen und den Menschen am Hafen und er lächelte und ging weiter. Einen Steinwurf westlich des gepflasterten Platzes erreichte er den Weg, der zum Strand führte. Nur zu gut kannte er den Hügel, der vor ihm lag, denn er hatte sich öfter darüber gekämpft, als ihm lieb war. Hinter der Hügelkette befand sich der Strand, an dem die Langschiffe während des Winters gelegen hatten. Dort lagen sie sicher, während sich das Eis an den Armen der Mole brach. Das Land erstreckte sich hier von Ost nach West, während sich Tirgas Hafen nach Norden öffnete. Der Schärengarten weit dort draußen bot wenig Schutz vor der Strömung und den Winden, die beständig aus dem Nordmeer zu blasen schienen. Einige der Nächte im Zelt waren so kalt gewesen, dass sich die Kinder in den Schlaf geweint hatten, und nur der Trockentang der Tirganer hatte sie vor dem Erfrieren gerettet. Er hatte gewacht und das Feuer gehütet, während die eisigen Winde an den Zeltplanen gerissen hatten und sich Eyna am Feuer zusammenkrümmte, um wenigstens ein bisschen Wärme zu bekommen.
    Der Einbeinige humpelte mit kurzen Schritten den Hügel empor. Er beugte den Rücken über die Krücke und stellte seinen Fuß so weit vor, wie er es gerade wagen konnte, ehe er das Gewicht langsam auf den Fuß verlagerte und die Krücke weiter nach vorn stellte. Der Pfad war nass und schlammig, und er verfluchte das Wasser, das durch seine ledernen Beinkleider hereindrang. Vor drei Tagen war er an diesem Hügel gestürzt und wie ein besoffener Kretter den Hang hinuntergerutscht. Er hätte nach Hilfe rufen können, doch das tat er nicht. Er war alt, hatte aber noch Kraft genug. So hinkte er mühsam nach oben, kämpfte sich über jeden einzelnen Grasbüschel und an jeder Schlammpfütze vorbei, bis er schließlich auf der Spitze des Hügels stand. Dort lehnte er sich auf die Krücke und atmete aus. Er mochte es, hier oben auf dem lang gestreckten Höhenzug zu stehen, denn von hier aus konnte er gut zusehen, wie die Männer auf den Schiffen arbeiteten.
    Nur noch ein Langschiff lag wie ein einsamer, gestrandeter Wal zwischen den tiefen Spuren auf dem Sand. Am frühen
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