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Das Verdammte Glueck

Das Verdammte Glueck

Titel: Das Verdammte Glueck
Autoren: Andreas Kurz
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Nicht als Abteilungsleiter, als Roundtable-Teilnehmer, als Exmann, der nie pünktlich überweist und sowieso viel zu wenig bezahlt, als Kumpel, der toll zuhören kann, der eine Schulter zum Anlehnen ist, ein Sportkamerad, ein Tennispartner oder ein Kunde: ‹Ja guten Tag, was kriegen wir denn heute?›
    Oh nein! Da war noch etwas anderes, ich wusste es ganz genau.
    Ich parkte also den Wagen, nahm die Blumen vom Rücksitz, drückte die Klingel, stieg in den mit Graffiti verschmierten Lift, ruckelte in den vierten Stock, sah die geöffnete Wohnungstür und ihr strahlendes Gesicht, freute mich auf mein neues Leben, als ein Kind sich neben ihr herausschob und mich anstarrte wie einen Feind.
    Sie sagte: «Ach ja, das ist Sebastian. Es macht dir hoffentlich nichts aus?»
    «Nö», log ich und hörte das laute Platzen all meiner Träume im Inneren.
    Sie sagte, sie habe leider mit ihrer Mutter gestritten und konnte darum den Jungen nicht hinbringen, so wie sie es eigentlich geplant hatte.
    «Macht doch nichts», schleimte ich und tätschelte dem Jungen den Kopf.
    «Wer ist der Mann?», rief der Junge, und die Spitze seines Zeigefingers drohte mich zu durchbohren.
    «Ein Freund», sagte Irene, denn so hieß sie.
    «Schon wieder einer», kreischte der Junge und stürmte den Flur hinunter.
    Ich liebe Kinder, ja, ich verehre sie. Ich unterstütze Steuererhöhungen, um ihnen buntere Schulbücher kaufen zu können. Oder eine ökologisch wertvolle Speisung am Mittag. Doch sie stören mich, ehrlich gesagt, wenn ihre Zellteilung bereits so weit fortgeschritten ist, dass sie beim ersten Rendezvous mit am Tisch sitzen und den Hauptteil des Gesprächs führen.
    Es gab Spaghetti mit roter Soße, deren Grundsubstanz nach Aussage der Köchin auf Tomaten zurückzuführen war, was ich bezweifelte. Ich streute mindestens hundert Gramm Parmesan darüber. Vorher stießen wir an. Sebastian rammte seinen Plastikbecher gegen mein Glas, dass es klirrte. Dann mussten wir uns bei den Händen fassen und einen Reim aufsagen. Der CD-Spieler dudelte Harry Belafonte, wenigstens damit hatte ich recht behalten. Irene sah entzückend aus, sie hatte sich wirklich Mühe gegeben. Ihr langes, in frechen Locken herabfallendes dunkelblondes Haar, ihr hübsches enges Kleid mit dem Ausschnitt, der meine Blicke anzusaugen schien, ihre schmalen Beine, die von einem Hauch Seidenstrümpfe golden glänzten, all das war einfach hinreißend.
    Wir kämpften mit den Spaghetti, und Sebastian erzählte von einem erfüllten Tag in der Grundschule. Er war in der zweiten Klasse und ein guter Schüler. Sagte die Mutter.
    «Das ist schön», sagte ich.
    «Werdet ihr ficken?», rief der Junge auf einmal.
    Die Mutter tadelte ihn erschrocken. Das sei sein Vater, sagte sie, der brachte ihm diese hässlichen Worte bei, um sie damit zu ärgern. Der Junge weiß noch gar nicht, wovon er da eigentlich redet.
    Ich wandte mich zu dem Jungen und sagte: «Ja, das werden wir.»
    Ich verneinte, als er wissen wollte, ob er zusehen dürfe. Irene warf mir einen hässlichen Blick zu und schüttelte den Kopf.
    «Aber er weiß ja nicht ...», sagte ich beschwichtigend.
    Es gab noch Eiskrem, und dann durfte der Junge fernsehen. Wir verzogen uns mit frisch gefüllten Gläsern auf den kleinen Balkon und betrachteten die wandernden Autoscheinwerfer unten auf dem Mittleren Ring. Sie wohnte sehr verkehrsgünstig.
    «Hab ich es dir wirklich nicht erzählt?», fragte sie vorsichtig.
    «Ich glaube nicht.»
    «Das war natürlich ein Fehler. Bist du mir böse?»
    «Ich habe auch eine Vergangenheit», sagte ich, «so ist das nicht.»
    Sie lächelte ganz entzückend, lehnte sich an mich und drückte ihre kleine Nase gegen meine Schulter. Ich schmolz in Sekunden und erinnerte mich an die Gefühle, die ich gehabt hatte, als ich herkam. Ich wollte sie küssen, aber sie sah zu dem Zimmer, in dem der Fernseher sein bläulich tanzendes Licht verbreitete, und sagte: «Warte ... später.»
    Um acht musste der Junge seinen Schlafanzug anziehen, was er nicht wollte. Um Viertel nach acht sollte er sich die Zähne putzen, was er noch nie gemacht zu haben schien. Während er im Gespräch gerne den Mund offen hielt und die befeuchtete Zunge zeigte, weigerte er sich im Bad hartnäckig, den Mund zu öffnen, um einer Bürste Einlass zu gewähren. Um halb neun forderte er eine Geschichte, und ich saß allein im Wohnzimmer. Ich zappte herum, dann sollte ich in das kleine Zimmer gehen und ihm etwas vorlesen. Der Junge wirkte so
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