Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verdammte Glueck

Das Verdammte Glueck

Titel: Das Verdammte Glueck
Autoren: Andreas Kurz
Vom Netzwerk:
hin, die gab’s im Sonderangebot für 'nen Fünfer. Kanoppke sagte: «Auf euch!» Wir nahmen die Gläser, stießen an und kippten das Zeug runter. Regine las nur in dem Zettel, all den Scheiß, den sie über das Feld ‹3,5 bis 3,9› zum Besten gaben. Mal sagte sie: «Stimmt genau», aber meistens sagte sie gar nichts, ihre Lippen formten lautlos den Text. Ich nahm noch ein Bierchen, lehnte mich an das Tischchen vor Kanoppkes Wohnwagen und starrte den jungen Dingern hinterher, die mit ihrem Arsch wackelten, weil sie wollten, dass wir alle nur grüne und blaue Felder kriegen, jetzt, wo sie es messen können und wir endlich Gewissheit haben.

Zu den Sternen
     
    Ich fuhr auf der Autobahn Richtung Norden, die gestreckte Motorhaube und den schiefen Stern vom Benz vor mir. Die Haube zitterte leicht, ich hielt das elfenbeinfarbene Lenkrad lässig mit einer Hand. Ich sah die Häuser wandern, und ich sah das Asphaltband der Straße unter mir hindurchgleiten. Nicht ich bewegte mich, die Welt drehte sich unter mir. Ich wollte nirgends mehr ankommen, nur unterwegs sein, immerzu, die Tankuhr machte mir Hoffnung. Vielleicht aber belog sie mich auch und die Nadel des Instruments war längst tot wie so vieles an diesem ergrauten Automobil. Ich wurde selten überholt, und ich überholte auch nur selten. Lastwagen meist, die ihre schwarzen Wolken in den Himmel bliesen. Bald würde wieder eine Ausfahrt kommen. Ich nahm noch einen Schluck aus der Colabüchse und zog meine Kappe so tief in die Stirn, dass sie mir nach oben die Sicht nahm.
    Eine blaue Tafel mit weißen Buchstaben: ‹Dummschwätzer nächste Ausfahrt›, ein fetter Pfeil nach rechts auf die Ausfädelspur. Schraffuren auf der Fahrbahn, Hinweise, Zeichen.
    Viele setzten den Blinker und fuhren ab. Ich hatte es nicht so mit dem Reden, überließ das lieber den anderen. Ich duckte mich im Sitz und drückte das Gaspedal tiefer. Die Motorhaube zitterte.
    Der alte Strich Acht hatte mich nicht viel gekostet. Trotzdem bockte er jetzt nicht. Ich ignorierte die Abzweigung, hielt weiter drauf – geradeaus. Immer Richtung Neues Leben. An den Schildern vorbei. Gab so viele.
    ‹Blödmänner›, ‹Glatzen, rechts raus›.
    ‹Wahlversprecher, Freundebelüger, Witwenbeklauer, die nächste Ausfahrt ist eure Ausfahrt›.
    Ich blieb drauf, an allem vorbei, wollte es endlich hinter mir lassen, mal sehen, wie weit ich komme. Das Asphaltband der Straße wie ein vor mir ausgerollter breiter, weicher Teppich. Der Horizont lud mich ein. Wieder Schilder: ‹Weicheier, Zweifler, Drückeberger, 500 Meter›. Und tschüss. Nicht mit mir. Die meisten kriegten Angst, setzten irgendwann den Blinker und zogen raus. Verloren die Nerven, hielten den Druck nicht mehr aus. Nur noch wenig Verkehr jetzt, klar.
    Ein Truck wanderte links langsam an mir vorbei. Seine Reifen sangen ein Lied, das mir gefiel. Ich sah, wie der Fahrer seine Hand hob und mich grüßte. Er hatte es kapiert. Ich freute mich, hier mit ihm zusammen unterwegs zu sein. Ein Ort nur für uns, die Stillen, die Wartenden, all jene, die noch ein großes Herz hatten. Über der Straße wieder ein mächtiges Schild, wie ein Tor, ein Eingang: ‹Willkommen, Freunde!›
    Ich fühlte mein Herz klopfen und hatte Schmetterlinge im Bauch. Ich wollte nirgends mehr ankommen. Nur noch fahren. Ich konnte kaum glauben, dass ich es tatsächlich durchgezogen hatte. Vor mir ein schiefer Stern, aber genau richtig. Der Motor summte, und der Zeiger der Tankuhr muckste sich nicht.

Ein netter Abend
     
    Es hatte sehr lange gedauert, bis es endlich klappte und wir einen Tag und eine Stunde fanden, an der ich sie besuchen durfte. Das erste Mal. Sie wollte kochen, und sicher stellte sie auch Kerzen auf den Tisch, Champagnergläser, mühsam gefaltete Stoffservietten. Sicher spielte leise Musik aus dem CD-Spieler, Harry Belafonte oder so, sie war ein Belafonte-Typ, ich weiß auch nicht, warum. Sie würde mir die Wohnung zeigen, die Küche, würde meine Blumen in die Vase stellen, mich anlächeln und von ihrem Job erzählen, ihrem letzten Urlaub und all dem Kram.
    Wir würden trinken, essen, Nachtisch haben, Kaffee, und dann würden wir endlich nachholen, was sich in unserem Alter viel zu schnell davonstiehlt. Was verloren geht, was sich nicht ergibt, wozu gerade keine Stimmung ist, was sich hinter tausend Ausreden versteckt und zu seelischer Verstimmung führt.
    Ich spürte, dass ich an diesem Abend endlich mal wieder eine Chance bekam, mich als Mensch zu erleben.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher