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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil
Autoren: John T. Lescroart
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einundvierzig Jahren). Man lebte in einem Bienenstock, und jede Entscheidung, die man traf - angefangen bei der Gestaltung der Absätze in den eigenen Schriftsätzen bis hin zur Überlegung, wie man seine Mandanten vor Gericht vertreten wollte -, mußte von irgendeinem Gremium abgesegnet werden. War es etwa das, was Hardy wollte?
    Warum gab er nicht seinen wirklichen Träumen und Instinkten eine Chance? Freeman würde ihm ein Büro in einem der oberen Stockwerke vermieten, ihn die Bibliothek benutzen lassen, ihm die Empfangssekretärin ausborgen und eine minimale Miete erheben, zumindest so lange, wie Hardy sich die Sache noch überlegte.
    Also war Hardy seit dreiundvierzig Tagen dabei.
    Seither war er viermal im Justizpalast zu Verhandlungen gewesen. Drei dieser Fälle - von denen ihm David zwei vermittelt hatte - waren Verfahren wegen Trunkenheit am Steuer gewesen, wo Hardys Rolle bestenfalls nebensächlich gewesen war. Die Mandanten bezahlten am Ende ihre Strafe und gingen wieder nach Hause. Beim vierten Fall ging es um den Freund eines Bekannten von Hardy namens Evan Peterson, bei dem fünfzehn Verwarnungen wegen Falschparkens offenstanden. Als man Peterson herauswinkte, weil er über ein Stoppschild gerauscht war, hatten sie ihn wegen des Vollstreckungsbefehls auf der Stelle verhaftet. Peterson hatte seinen Freund kontaktiert, der wiederum Hardy anrief und ihn bat, Peterson im Gerichtsgebäude aufzusuchen und durchs Labyrinth der Amtswege zu geleiten, was Hardy tat.
    Ein Leben auf des Messers Schneide.
    Es war früher Nachmittag. Mittags war er nach Hause gefahren, zu seiner Frau Frannie und seinen zwei Kindern, Rebecca und Vincent. Nach dem Mittagessen hatte er einen Dauerlauf über vier Meilen gemacht, erst am Strand entlang, dann durch den Golden Gate Park und anschließend über die Avenues zurück zu seinem Haus in der 34th Street. Anschließend hatte er seinem altbewährten katholischen Schuldbewußtsein nachgegeben - was wäre, wenn ein Mandant an seine Tür klopfte und er war nicht da? -, seinen Anzug wieder angezogen und war zurück in die Innenstadt gefahren.
    Hardy hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt und las. Er sah vom Buch auf und holte tief Luft, versuchte, das Ganze philosophisch zu nehmen und sich einzureden, daß heute eben der dreiundvierzigste Tag vom Rest seines Lebens sei.
    »Mr. Hardy.«
    Phyllis, Freemans Empfangssekretärin, stand in der Tür zu seinem Büro. Sie war eine stocksteife, aber nach Hardys Einschätzung im Grunde herzensgute Frau Mitte Fünfzig, die ihn jetzt zaghaft anlächelte. Hardy nahm die Beine vom Schreibtisch, legte sein Buch Ein Jahr in der Provence weg - Träume, Träume - und winkte sie herein.
    »Sie haben doch nicht viel um die Ohren? Ich störe Sie doch nicht?«
    Er räumte ein, daß er durchaus ein paar Sekunden erübrigen konnte.
    »Eben rief eine Frau namens Jennifer Witt an. Wissen Sie, wer sie ist?«
    Hardys Füße waren mit einemmal auf dem Boden. Phyllis machte einen Schritt in sein Büro. »Sie wurde heute früh verhaftet und wollte mit David sprechen, doch der ist bei Gericht.« Freeman war immer bei Gericht. »Und keiner seiner Mitarbeiter ist hier.«
    Freeman hielt sich einen kleinen Trupp von jungen Rechtsanwälten, die für ihn arbeiteten, und es gelang ihm auch, sie alle auf Trab zu halten.
    »Will David, daß ich hinfahre?« Hardy war bereits aufgestanden.
    »Ich habe ihn angepiepst, und er hat mich gerade zurückgerufen. Aus einer Beratungspause. Er befürchtet, daß Mrs. Witt zu jemand anderem geht, wenn wir nicht rasch einen Vertreter zu ihr schicken, und läßt fragen, ob es Ihnen etwas ausmachen würde ...«
    »Jennifer Witt?« wiederholte Hardy. Phyllis nickte. »Ich glaube, das ist vielleicht eine große Sache«, sagte sie.
    Überall war in den Zeitungen und im Fernsehen groß und breit über das Verbrechen berichtet worden. Das war die Art Stoff, von dem die Lokalreporter träumten - der Arzt Larry Witt und sein siebenjähriger Sohn Matt waren zu Hause erschossen worden. Die Mutter war währenddessen beim Joggen gewesen. Eine Nachbarin hatte Schüsse gehört und über 911 den Notruf gewählt. Als die Mutter vom Jog gen zurückkam, war gerade ein Polizist vor der Haustür ein getroffen, der zu ihr gesagt hatte, sie solle unten warten, während er sich oben umsehe. Dann hatte er das Blutbad entdeckt.
    In den ersten Wochen hatten einige Nachrichtenmeldungen die Theorie unter die Leute gebracht, daß aus unbekanntem Grund ein
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