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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil
Autoren: John T. Lescroart
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Profikiller angeheuert worden war, um alle Mit glieder der Familie Witt um die Ecke zu bringen. Mrs. Witt hatte am fraglichen Morgen angeblich einen verdächtigen Mann - ein Latino oder ein Afroamerikaner ? - in der Nach barschaft gesehen.
    Jennifer Lee Witt, die Ehefrau, war ihrerseits ein gefun denes Fressen für die Presse. Selbst die schlechtesten Abbil dungen von ihr, nämlich ein zweispaltiges Foto im Chronicle oder ein Standbild als Aufmacher für die Achtzehn-Uhr- Nachrichten, wo sie in Tränen aufgelöst war oder augenscheinlich unter Schock stand, zeigten das fotogene Gesicht einer jungen Frau, die gerade erst ihre Unschuld verloren hat. Die gelungenen Aufnahmen dagegen waren in der Regel derart bezaubernd, daß es beinahe den Anschein machte, als habe sie sich für den Fotografen in Pose geworfen.
    Sie trug einen gelben Trainingsanzug wie alle anderen Häft linge im sechsten Stock. Obwohl ihr blondes Haar kurzge schnitten war, fielen die Fransen des Ponys ein wenig nach vorn und verdeckten teilweise das Gesicht. Beim Gehen starrte sie auf den Fußboden.
    Dismas Hardy beobachtete durch das Fenster aus Sicherheitsglas, wie sie sich dem Besucherzimmer näherte, dann kehrtmachte und am Tisch Platz nahm, abwartete, bis die Gefängniswärterin die Tür öffnen und sie hereinführen konnte.
    Man hörte, wie sich ein Schlüssel drehte, und Hardy stand auf.
    »Mrs.Witt?«
    »Mr. Freeman?« Sie streckte zögernd die Hand aus.
    »Nein.«
    Aus der Fassung gebracht, ließ sie jetzt die Hand fallen und machte einen Schritt zurück. Hardy hatte den Eindruck, daß sie kurz vor einem Zusammenbruch stand. Rasch ergriff er das Wort. »Ich bin ein Mitarbeiter von Mr. Freeman.« Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. »Er hat eine Verhandlung bei Gericht und kann nicht weg.«
    Sie regte sich nicht. »Was macht ihr Rechtsanwälte eigentlich, reicht ihr die Leute immer nur weiter? Ich rufe die Anwälte meines Mannes an, und sie sagen, sie können mir nicht weiterhelfen, aber David Freeman kann's. Er ist der Beste, sagen sie.«
    »Er ist sehr gut.«
    »Also stimme ich zu, sie sollen ihn anrufen, prima, und ehe ich mich's versehe, stehen Sie da. Ich hatte nie von Mr. Freeman gehört. Ich habe nie von Ihnen gehört. Ich kann einfach nicht glauben, daß man mich verhaftet hat. Wegen Mordes an Larry und an meinem Sohn Matt, um Himmels willen. Die können doch nicht im Ernst glauben, daß ich meinen kleinen Jungen ermordet habe.« Bei der Erwähnung ihres Sohnes fingen ihre Lippen zu zittern an. Sie wandte sich ab, hielt die Hand vors Gesicht. »Ich werde nicht weinen.«
    Hardy nickte der Wärterin zu, die das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloß. Es war ein kleiner Raum, ein Meter fünfzig mal zwei Meter fünfzig, wobei ein verschrammter Schreibtisch und drei Klappstühle aus Metall am meisten Platz in Anspruch nahmen. Das Fenster ging hinaus aufs Wachzimmer für das Frauengefängnis. Zwei uniformierte Wärterinnen kamen dort auf dem Weg zu ihren vollgepackten Schreibtischen in Sicht und verschwanden wieder, gingen hierhin und dorthin, kamen erneut in Sicht. Die Gemeinschaftszellen lagen gleich um die Ecke. Als die Türe offengestanden hatte, war fast ständig eine laute Geräuschkulisse zu hören gewesen. Metallisches Scheppern, Schluchzen, Stimmen. Jetzt schluckte die Tür den Großteil des Lärms.
    Hardy wartete ab, daß sich Jennifer Witts Atem wieder beruhigte. Endlich drehte sie sich zu ihm um. Er saß auf dem Schreibtisch, hatte ein Bein über die Kante gelegt. »Sie können mit Mr. Freeman verhandeln, wenn Sie dies wünschen, aber er wird noch eine ganze Weile unabkömmlich sein. Bei Ihnen geht es um eine Anklage vor der Grand Jury. Es wird keine Kaution geben.«
    »Sie meinen, ich muß hierbleiben? Mein Gott... wie lange denn?« Es kostete sie Mühe, die Worte herauszubringen. Mit einemmal ließ sie den Kopf hängen und setzte sich.
    Hardy kam sich wie ein Eindringling vor. Er ließ eine endlos lange Minute verstreichen.
    Sie seufzte tief, als hätte sie die Luft angehalten. »Tut mir leid, es ist meine Schuld. Ich wollte einfach nicht noch mehr Scherereien bekommen und dachte mir, ich sollte einen Anwalt hinzuziehen.«
    »Na schön.« Hardy hatte sich vom Schreibtisch erhoben und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl.
    »Nicht, daß es eine Rolle spielt.«
    »Vielleicht doch«, sagte Hardy.
    Ihr war nicht danach, sich darüber zu streiten, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nun eine gute Sache war oder
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