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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil
Autoren: John T. Lescroart
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nicht. Müde schüttelte sie den Kopf. »Ich denke mir immer, irgendwas wird helfen, irgendwas wird es besser machen.«
    Hardy fing an zu erklären, daß der richtige Rechtsbeistand einen Riesenunterschied machen konnte. Aber ihr Blick war ausdruckslos. Was er sagte, kam überhaupt nicht bei ihr an. »Mrs. Witt?«
    Sie war abwesend. Oder vielmehr war Hardy, was sie anging, abwesend. Sie schüttelte nur immerzu den Kopf. Irgendwann hörte sie damit auf, wie ein Pendel, das keinen Schwung mehr hat. »Nein«, sagte sie. »Ich meine Matt. Mein Kleiner.«
    Hardy holte seinerseits tief Luft und hielt einen Augenblick den Atem an. Auch er hatte einen Sohn verloren. Im Lauf der Jahre war es ihm ansatzweise gelungen, das aus seinen Gedanken zu verdrängen. Aber er würde es nie vergessen, nie auch nur in die Nähe des Vergessens kommen.
    Als er diese Frau ansah - jetzt zu zerbrechlich in ihrer Gefängniskluft -, spürte er plötzlich eine starke Verbundenheit zu ihr. Das Gefühl war ganz spontan und vielleicht für einen Anwalt unangebracht, aber es konnte nichts schaden, wenn die juristischen Formalitäten ein paar Minuten warteten. Sobald sie einmal begonnen hatten, würden sie weiß Gott genug Zeit in Anspruch nehmen. »Wie lange ist es jetzt her?« fragte er.
    Sie zupfte an einer Strähne ihres Haars. »Ich kann mich einfach nicht damit abfinden.« Ihre Stimme war jetzt heiser, die Augen blickten in die Ferne. »Nichts scheint mehr wirklich zu sein, wissen Sie?« Ihre Handbewegung galt dem winzigen stickigen Raum. »All dies hier. Ich hab das Gefühl, daß ich als Schlafwandlerin in einem Alptraum unterwegs bin ... ich möchte aufwachen ... ich möchte, daß Matt wieder bei mir ist ...« Sie schluckte, schien nur mit Mühe und Not Luft zu bekommen. »Mein Gott, ich weiß auch nicht. Was können Sie schon tun? Was kümmert es Sie?«
    »Es kümmert mich sehr wohl, Mrs. Witt.«
    Sie nahm das zur Kenntnis, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne zu seufzen, ohne zu ihm hinüberzusehen. Sie war wieder völlig in sich gekehrt.
    Hardy sah auf seine Hände, die er auf dem Tisch zwischen sich und Mrs. Witt verschränkt hielt. Jennifer Witt machte sich keine Sorgen über ihre Rechtsanwälte und deren Spielchen, über ihre Kaution und ihren ausgeleierten gelben Trainingsanzug. Sie hatte ihren Sohn verloren, und nichts würde ihn ihr zurückbringen. Sie hatte recht. Nichts, was Hardy tun konnte, würde etwas daran ändern.
    Ein Streifen Sonnenlicht lag auf einem der Schreibtische der Wärterinnen. Er war beinahe dreißig Zentimeter weitergewandert, seit man Jennifer hereingebracht hatte.
    Sie hatte angefangen, sich zu öffnen, zuzuhören. Nachdem sie fürs erste akzeptiert hatte, daß Hardy als stellvertretender Rechtsbeistand einsprang, kamen sie endlich doch noch zur Sache. Sie hatte keine Lust, den Rest ihres Lebens im Gefängnis zuzubringen, oder etwa doch?
    »Nicht für etwas, das ich nicht getan habe, Mr. Hardy.«
    »Na prima. Aber lassen Sie mich Ihnen die Frage stellen, was Sie damit meinten, als Sie sagten, Sie hätten es verdient. Hätten was verdient?«
    In einer Reaktion, die Hardy theatralisch vorkam, duckte sie sich, als sollte sie geschlagen werden. »Nichts, alles ... das hier ...«
    »Also was ?«
    »Ich hätte es nicht geschehen lassen dürfen. Ich war nicht da. Vielleicht, wenn ich dagewesen wäre ...« Erneut schüttelte sie den Kopf.
    »Was ist denn geschehen? Wieso glaubt die Polizei, daß Sie das angestellt haben?« Hardy wollte ihre Version hören. Er hätte es sich nie träumen lassen, daß er irgend etwas mit der Sache zu tun bekommen könnte und hatte die Nachrichten über das Verbrechen beiläufig verfolgt, wie sie eben in den Zeitungen oder im Fernsehen auftauchten, nichts weiter als noch eine der vielen Geschichten privaten Unglücks, die kamen und gingen und mithalfen, Seife oder Hamburger oder Zeitungen zu verkaufen.
    »Ich weiß es nicht. Ich begreife es nicht. Als sie kamen, um mich zu verhaften, habe ich sie gefragt...«
    »Und was haben sie gesagt?«
    Sie zuckte die Achseln und war offenbar überfragt. »Sie haben angefangen, mich über meine Rechte zu belehren, haben mich gewarnt, daß alles, was ich sage, gegen mich verwendet werden kann, daß ich Anspruch auf einen Anwalt habe, solches Zeug.«
    »Aber Sie haben gewußt, daß dies passieren würde? Sie müssen doch...«
    Sie fiel ihm ins Wort, unterbrach ihn mit einem knappen Geräusch, das ziemlich bitter klang, als es herauskam. »Ich habe über
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