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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute
Autoren: Christian Mähr
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Besonderes; er öffnete die Klappe, leerte den Inhalt des Eimers in die Öffnung, schloss die Klappe. Als er damit fertig war, sich zum Gehen wandte, sah der Kater zur Villa der Frau Leupold hinüber, zu seinem Zuhause. Aber dort war niemand. Alles dunkel.
    Schott ging zurück, diesmal lief der Kater vor seinen Füßen in der Schneespur; mehr ein Hüpfen als Laufen, das Tier versuchte die Abdrücke von Schotts Schuhen auszunutzen. Er läuft nicht gern im Schnee, dachte Schott. Da sinkt er bis zum Bauch ein und wird nass. Warum folgt er mir dann zum Komposter?
    Der Kater gab Antwort, als sie wieder beim Haus angekommen waren. Auf seine Weise. Er setzte sich vor die Hintertür, legte das Köpfchen in den Nacken und miaute. Ja, es war dieser langgezogene Katzenlaut, aber von einer Intensität, wie ihn Schott nie gehört hatte. Etwas Elementares lag darin, ein Unterton von Verzweiflung – aber das interpretiere ich jetzt rein, dachte Schott, wahrscheinlich hat es mit Verzweiflung nichts zu tun … vielleicht … der Kater schaute wieder zum anderen Haus hinüber. Er will was, dachte Schott. Es hat mit dem Kasten zu tun. Das ist es! Drum schaut er dorthin.
    Von irgendwo in seinem Bewusstsein kam das Verständnis für den Kater. Schott staunte. Als verstünde er eine Sprache, die er nie gelernt hatte. Ein Hund würde auf das Haus zurennen, stehen bleiben, sich umdrehen, bellen, wieder herkommen,wieder losrennen und so weiter – bis auch der blödeste Vertreter der Gattung Homo verstanden hätte, was das heißt: Komm mit, ich muss dir was Wichtiges zeigen! So war das in den Tierfilmen. Aber Sami war nicht Lassie. Der Kater verfügte nicht über ein so anthropoaffines Verhaltensrepertoire. Und was heißt schon anthropoaffin, fiel Schott jetzt ein, verhalten sich echte Hunde so wie die Hunde im Fernsehen? Oder haben sie die so dressiert – dieses Bellen, Hin- und Herlaufen, weil wir uns vorstellen, dass der Hund das genau so machen müsste, wenn er uns etwas zeigen will? Ein Hundebesitzer wüsste das natürlich. Vielleicht würden Hundebesitzer Lassie auslachen. Die Hundebesitzer waren in der Minderheit. Auf sie konnte man verzichten – ein interessanter Gedanke, fand Schott, das sollte er verfolgen, recherchieren, konnte ja sein, dass sich da etwas ergab, dass er recht hatte: mediale Erwartungshaltungen, die Verfälschung der Natur; Lassie und Flipper benehmen sich so, wie sie sich benehmen, weil wir glauben, sie müssten sich so benehmen. Aber woher beziehen wir diesen Glauben? Dem müsste man nachgehen … nein, müsste man nicht, fiel ihm ein. Nicht auf diese Weise. Nicht mehr. Solchen Ideen nachgegangen war er jahrelang, hatte Bücher geschrieben, nein, Manuskripte, die niemand … er verdrängte den Gedanken. Konzentration auf das Naheliegende. Er sollte also zur Villa von Frau Leupold. Der Kater Sami wollte das so. Warum? Dafür gab es einen Haufen denkbarer Gründe, kein einziger gefiel Schott. »Dem Frauchen geht es schlecht, ist es das?« Er richtete die Frage an den Kater, der antwortete, indem er Schott um die Beine strich und Laute zwischen Schnurren und Knurren von sich gab. Schott musste lachen. Der Kater sah ihn an. »Also schön«, sagte Schott, »wir gehen rüber, aber vorne auf der Straße, ich kann nicht durch die Hecke durch. Das siehst du doch ein?«
    Schnurr, knurr, grummel.
    Schott stellte den Eimer ab, ging ums Haus auf dieVorderseite. Der Kater hinter ihm auf dem schmalen Trampelpfad im Schnee. Vorn in der Einfahrt setzte sich der Kater wieder an die Spitze, spazierte auf dem aperen Teil der Straße zum Nachbargrundstück hinüber. Die Villa der Frau Leupold lag im Dunkeln, kein Lebenszeichen.
    »Ich sollte umkehren, Kater, weißt du das?« Der Kater reagierte nicht, lief an der Eingangstür vorbei auf die Rückseite.
    »Das kann ich nicht machen«, sagte Schott, »so herumschleichen. Ich muss wenigstens so tun …« Er läutete. Niemand kam. Schott trat einen Schritt zurück, rief »Frau Leupold!« Allerdings nicht laut, nur pro forma. Er hatte nicht die Absicht, die Nachbarschaft zusammenzuschreien. Keine Reaktion, natürlich nicht. Er folgte dem Kater ums Haus. Der wartete an der Hintertür, die der Schott’schen Hintertür sogar glich, ein ähnliches Kellertürmodell aus massivem Blech. Mit dem Unterschied, dass in der Leupold’schen Variante unten eine Katzenklappe eingebaut war. Davor saß Sami, der Kater, und blickte Schott an. Akustische Untermalung gab es diesmal nicht, es
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