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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute
Autoren: Christian Mähr
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war auch keine nötig, denn hier handelte es sich um eine sehr einfache Denksportaufgabe: Warum bleibt der Kater vor der Katzenklappe sitzen? – Weil er will, dass der Begleitmensch auch hineinkommt, ergo dessen die Tür aufmacht.
    »Du dummes Tier«, sagte Schott, »die ist doch zu, die kann ich nicht aufmachen!« Natürlich: Für Tiere sind alle Menschen gleich, wenn ein Mensch Türen öffnen kann, dann können es alle. Um diesen Irrtum zu demonstrieren, drückte Schott die Klinke nieder. Aber der Kater Sami war gar nicht dumm. Die Tür ging auf. Dahinter war es dunkel.
    Er hätte nicht herkommen sollen, das sah Schott jetzt ein. Der Kater hatte ihn dazu gebracht. Irgendwie. Durch diese komischen Laute, durch sein ganzes Wesen. Er war auf den Kater reingefallen. Der schlüpfte durch die offene Tür und verschwand im Dunkeln.
    »Frau Leupold!«, rief Schott ins Haus. »Sind Sie da? Der Kater hat irgendwas …« Schott wusste schon, dass er keine Antwort bekommen würde.
    Schott war nie in der Villa der Frau Leupold gewesen. Die legte keinen Wert auf Nachbarschaft, man verstand das sogar. Sie wohnte in einer Villa , die Nachbarn in Häusern , ein großer Unterschied; man bedauerte sie, wenn auch nicht offen, dass sie jetzt diese Nachbarschaft ertragen musste – im Rahmen eines Stadtentwicklungsprojekts der sechziger Jahre hatten Kleinhäusler in spe die Gelegenheit bekommen, Gemeindegründe günstig zu erwerben und ihre Häuschen drauf zu bauen. Die Siedlung war im Laufe der Jahrzehnte an die alte Fabrikantenvilla herangekrochen und dort zum Stillstand gekommen, denn Frau Dr. Leupold weigerte sich, ihr Grundstück an wen auch immer zu verkaufen, nicht an Einzelpersonen und nicht an die vier verschiedenen Bauträger, die deswegen an ihre Tür geklopft hatten. Frau Dr. Leupold erfreute sich wegen dieser Verweigerungshaltung einer gewissen Beliebtheit bei den unmittelbaren Nachbarn, denn sosehr der gewöhnliche Häuselbauer das Häuselbauen bei sich selber schätzt, so wenig schätzt er es nebenan; seine Idealvorstellung vom Nachbargrundstück ist eine als Wasserschutzgebiet eingezäunte Wiese und am Horizont ein Staatsforst. Ein Riesengrundstück mit einem alten Kasten, bewohnt allein von einer pensionierten Gymnasialprofessorin, die weder laute Musik hört noch laute Feste feiert, kam diesem Ideal schon recht nahe.
    Dies ging Schott durch den Kopf, als er den Lichtschalter gefunden und die Hintertür von innen zugezogen hatte. Der Kater Sami saß schon an der nächsten Tür und schien mit Krächzlauten seine Sicht der Dinge mitzuteilen. Schott verstand nichts davon. Er seufzte. Was nun kommen würde, war ihm klar, er würde eine unangenehme Entdeckung machen, dieselbe nämlich, die der Kater Sami vor ihm gemacht und deretwegen beschlossenhatte, die Hilfe eines anderen Menschen zu holen, das kluge Tier.
    Unter regelmäßigen »Frau Leupold!«-Rufen, auf die er gleichwohl keine Antwort erwartete, ging Schott in den vorderen Teil des Hauses, der Kater voran. Dort im Flur verschwand das Tier vom einen Augenblick zum anderen und ließ Schott allein in einem fremden Haus zurück, zu dessen Betreten ihn niemand anders aufgefordert hatte als ein momentan nicht anwesender Kater. Schott stellte sich vor, wie der Schlüssel im Haustor ging und eine sehr verärgerte, dafür aber quicklebendige Frau Dr. Leupold des ihr nur flüchtig bekannten Nachbarn Schott in der Diele ansichtig wurde.
    Schott fluchte, schrie »Frau Leupold, sind Sie da?« und sprang die Treppe zum ersten Stock hoch. Wenn er keine Antwort bekam, war er verpflichtet, den ganzen Riesenkasten Zimmer für Zimmer abzusuchen, schuld daran war das Katzenvieh, das ihn hereingelockt und sich jetzt verkrochen hatte, das feige Tier.
    All diese Befürchtungen waren gegenstandslos.
    Als ersten Raum im ersten Stock betrat Schott das große Esszimmer, dort traf er auf Frau Dr. Leupold, die ihm wegen seiner ungebetenen Anwesenheit keine Vorwürfe machte. Sie sagte überhaupt nichts. Sie lag neben dem riesigen Tisch auf dem Rücken und war tot. Schott fragte noch einmal: »Frau Leupold?«, dann trat er näher und betrachtete das Gesicht, die Augen standen weit offen, der Mund ein wenig, eine Pupille, die linke, schien verengt, aus dem linken Ohr waren zwei oder drei Tropfen Blut aufs Parkett gesickert, die Zeichen eines Schädelbasisbruchs, wie Schott vom Rot-Kreuz-Vorbereitungskurs zu seinem Zivildienst noch wusste. Schott ging in die Hocke, legte zwei Finger an die Karotis
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