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Das Turnier

Das Turnier

Titel: Das Turnier
Autoren: Anu Stohner
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konnte. Gänseblümchen können nicht weglaufen, logisch. Und noch was sah man: dass der Schwarze Ritter zu Fußherangeschritten kam. Er war vom Pferd gestiegen und näherte sich dem Weißen Ritter wie zuvor der weiße Herold. Und wie der weiße Herold machte er eine Wedelbewegung mit der Hand. Nur galt sie nicht Wuschel, sondern dem Herold. Und der Herold schlich davon wie ein geprügelter Hund. Er ließ seinen Meister im Stich und schaute sich nicht mal um.
    Um die Kampf bahn herrschte immer noch atemlose Stille. Allen saß noch der Schreck von Wuschels Drachenknurren in den Gliedern, und jetzt kam noch die Spannung dazu, was wohl als Nächstes passierte. Würde der zottelige Drachenhund sich auch gegen den Schwarzen Ritter wenden?
    Jetzt bewegten sich die beiden. Der Schwarze Ritter machte einen Schritt nach vorn, und der zottelige Drachenhund stand auf. Sie waren einander so nah, dass sie sich berühren konnten, wenn sie wollten. Und dann berührten sie sich: Erst leckte der zottelige Drachenhund dem Schwarzen Ritter die Hand, dann zog der den eisernen Handschuh aus und kraulte dem Zottelhund den Kopf.
    Ich schaute Robert an, aber der verstand genauso wenig wie ich. Dann schaute ich in dieRunde und sah in allen Gesichtern dieselbe Frage. Es war die, die ich mir selber stellte. Was, zum Kuckuck, ging hier vor?
    Und es war noch nicht mal zu Ende. Jetzt ging Wuschel ganz nah zu dem Weißen Ritter hin und schnupperte am Visier. Dann bellte er. Es war ein ganz normales Hundebellen:
    »Wuff !«
    Es war noch nicht mal laut, aber alle verstanden, was es bedeuten sollte: Hochklappen!, sollte es bedeuten. Der zottelige Drachenhund wollte den Weißen Ritter sehen. Und jetzt wollten es alle anderen auch. Ich weiß nicht, ob es die größten Geheimnisse der Ritterzeit waren, wer sich hinter den Visieren des Schwarzen und des Weißen Ritters versteckte. Aber große Geheimnisse waren es bestimmt. Und noch nie war die Chance so groß gewesen, eins davon zu lüften. Der Schwarze Ritter zögerte. Vielleicht verstieß so was ja gegen die Ritterehre.
    Von den Zuschauern kamen jetzt die ersten Rufe:
    »Hochklappen!«
    »Wir wollen ihn sehen!«
    »Hochklappen!«
    »Wir wollen ihn sehen!«
    Da hob der Schwarze Ritter die Arme zum Zeichen, dass alle still sein sollten. Und dann machte er was, bevor er das Visier des Weißen Ritters hochklappte, womit niemand gerechnet hatte: Er nahm selbst den Helm ab. Wenn ich mein Geheimnis lüfte, darf ich seins auch lüften, sollte das wohl heißen.
    Da stand er, der Schwarze Ritter, und alle sahen sein Gesicht.
    Habt ihr schon mal tausend Leute gleichzeitig »Nein!« sagen hören? Jetzt hättet ihr Gelegenheit dazu gehabt.
    »Nein!«, kam es aus tausend Mündern, und einer davon meiner. Ich sah, was ich sah, und konnte es doch nicht glauben.
    Jetzt beugte sich der Schwarze Ritter zum Weißen hinunter. Er klappte das Visier hoch, und es knirschte, wahrscheinlich, weil es so selten geöffnet wurde.
    Habt ihr schon mal tausend Leute mit offenem Mund dastehen sehen? Jetzt hättet ihr dazu Gelegenheit gehabt. Tausend Münder standen offen, und meiner war dabei.
    Der Schwarze Ritter war der Herr der Wackerburg.
    Und der Weiße Ritter war der fürchterlichsteWüterich unter den Raubrittern von der anderen Seite des Tals: der rappeldürre Ritter Kraft.
    Alle im weiten Rund kannten die beiden, und keiner konnte es fassen.
    Jetzt bewegte sich der Weiße Ritter endlich. Erst wackelten die buschigen Augenbrauen, dann zuckte die spitze Nase. Dann öffnete er die Augen, und dann rappelte er sich auf. Er schaute um sich, als könnte er nicht glauben, was er sah, dann setzte er den Helm ab und schmiss ihn in den Staub.
    Das war das Ende des Weißen Ritters, der in Wirklichkeit ein Raubritter war und sich verkleidet hatte, weil niemand wissen durfte, wer er war, sonst hätte er bei keinem Turnier mitmachen dürfen. Er trottete geschlagen davon, und alle sahen seinen merkwürdig staksigen Gang. Es sah aus wie bei kleinen Kindern, wenn sie Papas riesengroße Stiefel tragen.
    Ein paar Buhrufe ertönten jetzt, und jemand rief: »Betrüger!« Aber dann erhob sich schallendes Gelächter. Es sah einfach gar zu komisch aus. Der rappeldürre Ritter Kraft von Wolfeck war ein gefürchteter Wüterich, aber er war höchstens eine halbe Ritterportion, ein kleines spirreliges Männchen mit einem großen Kopf. Vielleicht war er gerade deshalb so ein Wüterich geworden. Jedenfallswussten alle, wie klein er war, und mit seiner
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