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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer
Autoren: Leonora Christina Skov
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Die Möbel im Raum schienen plötzlich zu groß. Ein Esstisch für mindestens zwanzig Personen, eine Anrichte mit unendlich viel Porzellan, mannshohe Porträts an den Wänden. Nella legte die Scherben weg.
    »Nur ein Versehen, als ich letztes Mal hier war«, sagte sie. »Eine Bodenvase, die umgekippt ist.«
    Ich konnte ihren dünnen Körper nur zu deutlich vor mir sehen. Hände, die sich wehrten. Die zarte Haut von Schlägen übersät, die schließlich zu den Narben geworden waren, die ich so gut kannte wie die Straßen von Kopenhagen.
    »Es tut mir leid, dass ich so darauf gedrängt habe, dass wir hierhin zurückkommen«, sagte ich, und ich meinte es, wie ich nur selten etwas gemeint habe. Ich hatte im Grunde genommen gut damit leben können, nicht viel über Nellas erste Lebensjahre zu wissen, und so gesehen hatte ich auch gut damit leben können, nicht viel über meine eigenen zu wissen. Und was Nellas angespannte Finanzlage anging, konnte ich ihr durchaus mit meinen zwar nicht vortrefflichen, aber doch brauchbaren Kenntnissen zur Seite stehen. Nella ging zu einer geschlossenen Flügeltür und öffnete sie.
    »Machen wir weiter«, sagte sie leichthin. »Wir müssen schließlich noch auspacken.«
    Sofort erkannte ich den Geruch des Raums wieder. Den staubigen und zugleich würzigen Duft alter Bücher. Und als das Opalglas der Deckenleuchte in fünf kleinen Sonnenuntergängen erstrahlte, sah ich sie auch. Sie säumten in langen Reihen die Wände, Rücken an Rücken, vom Boden bis zur Decke, und lagen in hohen Stapeln neben einem tiefen Sofa, in dessen Füße Blätter geschnitzt waren. Der Brokatbezug war an einem Ende zerschlissen.
    »Womit hat sie dich geschlagen?«, hörte ich mich fragen. »Denn es war doch wohl Antonia, die …?«
    Der verschwommene Umriss von Nellas Atem war deutlich zu sehen und bei genauerem Hinsehen auch meiner.
    »Was? Ach so, in der Regel mit Eisenbügeln.« Sie sah mich verwundert an. »Aber das ist nicht so oft passiert, du brauchst dich nicht aufzuregen.«
    Sie ging zu dem einzigen Stück Wand, das nicht mit Büchern zugestellt war, und blieb vor einem prunkvollen Porträt in einem noch prunkvolleren Rahmen stehen.
    »Mein großes Glück war, dass ich nichts anderes kannte.«
    »Meinst du das wirklich?«
    Nella sah die Fotografie nachdenklich an. Sie zeigte zweifelsfrei Antonia, hingegossen auf einem Sofa, eine Zigarettenspitze zwischen den Lippen, die langen Wimpern waren hoffentlich hinzugemalt worden. Ich hoffte jedenfalls für sie, dass es nicht ihre eigenen waren.
    »Du weißt genauso gut wie ich, dass es eine große Hilfe sein kann, nicht zu wissen, was normal ist«, sagte sie und sah schräg an mir vorbei zu der kleinen Treppe neben dem Bild, die zu einer geschlossenen Tür hinaufführte. Ich verstand ehrlich gesagt nicht, warum ich jetzt in das Gespräch einbezogen werden sollte. Deshalb richtete ich meine volle Aufmerksamkeit auf das Foto, das wohl kaum in den letzten zwanzig Jahren aufgenommen worden war. Es existieren ziemlich viele Bilder von Antonia, weil sie sich jedes Mal, wenn der Verkauf ihrer Bücher stagnierte, porträtieren ließ, sodass ich dieses einigermaßen datieren konnte. Als junge Frau war sie rundbäckiger, schöner und hatte unschuldigere Augen, und die letzten zehn Jahre ihres Lebens schminkte sie sich beträchtlich stärker als hier. Ihre Lippen wurden auch schmäler, und die Mundwinkel zeigten nach unten, während die Pelze um ihre Schultern immer opulenter wurden. Im Gegensatz zu Antonia selbst übrigens. Als der Krebs sich allmählich in sie hineinfraß, wurde sie mager wie ein Windhund. Nella zeigte auf irgendetwas.
    »Sieh dir mal den Hintergrund der Fotografie an, den Spiegel oben rechts.«
    Ich musste mir bei Gelegenheit eine Brille anschaffen. Die Stelle, auf die sie zeigte, sah ich noch immer unklar. Nella lächelte.
    »Siehst du nicht, dass ich da mit dem Rücken zum Bild sitze?«
    Es war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, nach Nella zu suchen. Soweit ich das wusste, ließ Antonia sich immer alleine porträtieren. Das Glas war kalt an meiner Nase, doch jetzt sah ich sie. Im Spiegel, hinter einer Tischlampe, die eingeschaltet zu sein schien. Ihr Haar schwang wie eine Gardine um ihr Gesicht, und ihre Haltung war so aufrecht, dass sie selbst wie eine Lampe aussah. So schlecht sah ich also doch nicht. Hinter Antonia waren Bücher zu sehen, und unter einem Arm erahnte man die Schnitzereien des Sofas.
    »Das Bild ist in diesem Zimmer
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