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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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gehe ich aus«, sagte sie, »und vielleicht sollten wir mit unserem Rundgang langsam zum Ende kommen. Du siehst aus, als könntest du eine kleine Pause gebrauchen. Möchtest du dich hinlegen?«
    »Gott bewahre!«
    Doch eigentlich war ich in diesem Moment so müde, dass ich gut bis zum nächsten Morgen hätte durchschlafen können. Nella schlängelte sich an mir vorbei, stieg die Treppe zu der geschlossenen Tür hinauf, und plötzlich wusste ich ganz genau, was uns erwartete: Antonias halbrundes Arbeitszimmer. Wie man vielleicht ahnt, war mir zu diesem Zeitpunkt die Anatomie Liljenholms noch nicht so vertraut, sodass ich nicht wusste, dass das Zimmer diese Form hat, weil es ganz unten in einem der Türme liegt (in dem anderen befindet sich ein Spielzimmer, in dem meines Wissens nie jemand gespielt hat).
    Als Erstes sah ich zwei Bogenfenster. Sie gingen auf eine Wildnis hinaus, von der ich annahm, dass es sich um den Park von Liljenholm handeln musste, aber es war schon zu dunkel, als dass ich die Bäume voneinander unterscheiden konnte. Ich machte ein paar Schritte in den Raum hinein und zuckte zusammen, als das Haus ächzte. Irgendetwas knarrte irgendwo über unseren Köpfen. Sehr laut, kam es mir vor.
    »Es stürmt«, sagte Nella unbeschwert. Das Licht der Deckenlampe ließ die abblätternde Decke wie ein verwittertes, vergilbtes Stück Papier aussehen, und das Licht der Glühbirne flackerte ein paarmal, als wüsste sie nicht, ob sie leuchten sollte oder nicht.
    »Hast du keine Angst gehabt? Als du hier gewohnt hast, meine ich?«
    Meine Stimme klang seltsam rau.
    »Angst?«
    Nella lachte trocken.
    »Ich hatte keine Ahnung, was es heißt, keine Angst zu haben.«
    Wir hielten kurz inne. Vor einem der Fenster thronte ein ordentlich aufgeräumter Schreibtisch mit einer glänzenden schwarzen Schreibmaschine, einer Remington, und über den Boden verstreut lagen umgekippte Bücherstapel. Ein überfülltes Bücherregal folgte der Rundung des Zimmers bis zum Kamin bei der Tür, davor stand ein geblümter Sessel. Ich musste mich zwingen, nach links zu sehen, zu dem schmalen Bett hin. Das letzte Mal, als ich hier gewesen war, hatte Antonia darin gelegen, die Hände über der Decke gefaltet. Sie war seit vielen Stunden tot gewesen.
    »Das ist schon seltsam«, sagte Nella, und als ich sie näher ansah, kam es mir so vor, als glichen ihre Augen einer ganz dünnen Eisschicht.
    »Obwohl Mutter tot und das Ganze vorbei ist, scheint sie noch immer hier zu sein. Spürst du das nicht? In der Luft?«
    In diesem Moment sah es eher aus, als würde sie mit der Luft und nicht mit mir reden, und das beunruhigte mich. Ihre Stimme wurde schwächer.
    »Ich wäre nicht die Spur überrascht, wenn sie plötzlich angeschlichen käme und …«
    Sie unterbrach sich. Ging schnell zu den Fenstern hinüber und griff nach etwas im Fensterrahmen. Einer ganz gewöhnlichen Schachtel Streichhölzer.
    »Und was, Nella?«
    »Wird das denn nie aufhören? Kannst du mir das sagen?«
    Sie legte die Schachtel zur Seite. Es waren noch immer Streichhölzer darin, hörte ich.
    »Wenn diese ganze Geschichte nicht einmal beendet ist, wenn alle längst tot sind, was in aller Welt muss denn dann passieren, damit sie das ist?«
    Sie zerrte an den grünbraunen, bodenlangen Gardinen, die sich das letzte Stück nur widerwillig fügten. In der Fensterscheibe erahnte ich noch immer einen dünnen Streifen meines eigenen Spiegelbilds. Mein Blazer saß nicht so wie er sollte, und ich sah müde aus, die Locken standen in alle Richtungen ab, selbst als ich versuchte, sie glattzustreichen.
    »Aber du bist nicht tot, Nella«, bemerkte ich, was ja auch stimmte, doch das war die falsche Antwort, das wusste ich, sobald sie meinen Mund verlassen hatte. Ich war immer ein wenig zu gut darin, das Falsche auf die richtigen Fragen zu antworten, vor allem, wenn sie von Nella kamen, und jetzt stand ich tatsächlich da und wusste vor Verlegenheit nicht, wohin. Nella sah mich einen langen Augenblick an und blinzelte, wie sie das immer tat, wenn sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
    »Ich habe mich übrigens lange mehr tot als lebendig gefühlt.«
    Mit einem Ruck zog sie die oberste Schreibtischschublade auf. Alles darin lag in ordentlichen Stapeln.
    »Wirklich?«
    In Antonias Sachen herrschte erheblich mehr Ordnung, als es bei Nellas je der Fall gewesen war, obwohl ich persönlich ihre Papiere geordnet hatte. Sie hielt bereits Antonias letztes, nicht publiziertes Manuskript in der Hand, auf

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