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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer
Autoren: Leonora Christina Skov
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wiederaufzutauchen. Irgendeine Wahnsinnige mit dem fantasievollen Pseudonym Madame Rosencrantz hatte 1932 eine Schmähschrift verfasst. Die Königin der Gespenster hieß sie, und sie verkaufte sich weit über die Erwartungen hinaus, weil sie für sich in Anspruch nahm, die unheimlichen und blutigen Geheimnisse von Liljenholm und das dunkle Schicksal der Familie zu enthüllen. Ich will Sie jetzt nicht mit Details ermüden, sondern lediglich erwähnen, dass dieses dunkle Schicksal angeblich darin bestand, dass alle Generationen der Liljenholmer Zwillinge zur Welt brachten. Von denen einer ein wunderbares Leben führte, während der andere wahnsinnig wurde und sich das Leben nahm, um dann auf dem Gut herumzuspuken, wie es hieß. Und das versuchte ich zu verdrängen.
    »Nur war die Situation letztes Mal ziemlich angespannt«, sagte ich so ruhig ich konnte. »Ich hatte wohl gehofft, dass heute alles anders wäre.«
    Der Boden wölbte sich und knarrte. Vielleicht aus Verwunderung über die Schuhe, die über ihn liefen. Meine alten Herrenschuhe, Nellas hochhackige Stiefel.
    »Wenn ich du wäre, würde ich diese Hoffnung die nächsten Tage aufgeben«, sagte sie trocken. Mit verschränkten Armen inspizierte sie den nächsten Raum.
    »Aus diesem Grund wundert es mich ja auch, dass dieser Hans Nielsen so an einem Kauf interessiert ist«, fuhr sie fort. Wir hatten dieses Gespräch in den letzten Tagen bereits ein paarmal zu oft geführt. Nella, die meinte, dass die Leute hier so viel redeten, dass Herrn Nielsen die schlimmsten Gerüchte über Liljenholm wohl kaum entgangen sein konnten. Ich, die antwortete, dass dieser Hans Nielsen wohl einfach sein altes Leben hinter sich lassen wollte. Vielleicht liebte er die Natur, die alten Bäume im Park, und im Übrigen konnten uns seine Motive doch völlig egal sein, wenn er nur kaufen und bar zahlen würde.
    Nella war einige Schritte weitergegangen. Der nächste Raum glich weitgehend dem vorigen. Den einzigen Unterschied machte eine Sitzgruppe vor den beiden Fenstern. Außer einem o-beinigen Sofatisch bestand sie aus einigen Sesseln und einer nicht gerade gelungenen Kreation aus Stuhl und Sofa.
    »Eine bergère «, sagte Nella. »Hier hat Mutter also ihre Gäste empfangen.«
    Dass dieser Raum einmal voller Leben gewesen sein sollte, konnte man sich heute fast nicht mehr vorstellen. Doch von 1905, als Antonia mit ihrem Debütroman Lady Nellas geschlossene Augen ihren großen Durchbruch hatte, bis zu Nellas Geburt drei Jahre später hatte Antonia angeblich ein reges soziales Leben geführt. Nella sagte bestimmt auch noch mehr dazu, doch mich beschäftigte einzig und allein die schleichende Dunkelheit, die uns umgab. Sie schien hier ausgeprägter, vielleicht weil ein paar hohe Bäume die Fenster überschatteten. Ich versuchte, Leben in eine verschämte Tischlampe zu knipsen, die auf einer Anrichte an einer der Wände stand. Vergebens. Hinter den Glastüren der Anrichte ruhte eine Sammlung alter Teller in Ständern. Mein Nacken knackte laut. Es war neu, dass er das tat, wenn ich den Kopf ruckartig nach hinten bog. Zweifellos ein Zeichen meines fortgeschrittenen Alters.
    »Was war das für ein Geräusch?«
    Nella verstummte. Erst jetzt wurde mir klar, dass sie die ganze Zeit geredet haben musste. Das Geräusch kehrte zurück. Es klang wie ein leichtes Klopfen oben vom Speicher, und Nella drehte sich halb zu mir um. Ihre schönen grünen Augen schienen plötzlich schwarz und warfen runde Schatten auf ihre Wangen.
    »Es ist nur zu deinem eigenen Besten«, sagte sie. »Was immer du hörst oder siehst oder wahrnimmst, tu, als ob nichts geschehen sei. Das ist das Einzige, das hier auf Liljenholm hilft. Ich weiß, wovon ich rede.«
    Im gleichen Moment strahlte uns der letzte Raum in einem toten, nadelgrünen Ton entgegen. Wie es schien, handelte es sich um ein Eckzimmer, das als Speisezimmer diente. Vorsichtig trat ich näher.
    »Es wird nur schlimmer, wenn man danach fragt, ich spreche aus Erfahrung«, sagte sie schnell. Ich konnte die kleinen Härchen in ihrem Nacken sehen.
    »Was ist denn passiert, wenn du gefragt hast?«
    Sie bückte sich, um eine Handvoll hellblauer Scherben vom Boden aufzuheben, der mit dicken, geblümten Teppichen bedeckt war, die meisten in fleischfarbenen Tönen. Es musste traurig sein, den schlechten Geschmack anderer zu erben, doch Nella schien dem keinen Gedanken zu schenken.
    »Dann habe ich so viel Prügel bekommen, dass ich nicht wieder gefragt habe«, sagte sie.
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