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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer
Autoren: Leonora Christina Skov
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jemand einen zerknüllten Hut auf den Kopf gesetzt.
    »Ich bringe euch etwas zur Stärkung«, sagte sie und sah Bella vielsagend an, die ihren Blick besorgt erwiderte. Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als wenn die Leute über meinen Kopf hinweg reden. Obwohl meine Entscheidungen hin und wieder zwar fragwürdig waren, lege ich großen Wert darauf, über das, was mich betrifft, selbst zu bestimmen. Vielleicht weil ich von ganz unten komme. Aus dem Kinderheim. Aber Sie kennen meine Lebensgeschichte wohl bereits? Ich nähre diese eitle Hoffnung, das kann ich nicht verbergen. Über viele Jahre hinweg habe ich mich unter anderem als armselige Sekretärin über die Runden gebracht, mit einem Vorstrafenregister so lang wie die Psalmenreihe am Sonntag. Die Jahre dürften es wohl inzwischen reingewaschen haben, das Vorstrafenregister. Doch ich bezweifle, dass das mit meinem Gewissen jemals geschehen wird. Wie eine kluge Frau mir einst geschrieben hat: Wenn man erst einmal angefangen hat, im falschen Takt zu tanzen, wird man den richtigen nie mehr finden. Wie recht sie doch hatte. Falsche Entscheidungen haben die Angewohnheit, sich zu vermehren, erst im Leben und dann im Kopf. Doch eine gute Entscheidung habe ich seinerzeit getroffen: Ich habe dieses Buch geschrieben.
    Neulich, als Bella mit der Idee für dieses Vorwort kam, hat sie noch etwas anderes gesagt, das mir wichtig erschien. Sie hat gesagt: »Du brauchst gar nicht erst zu behaupten, dass Das Turmzimmer ein abgeschlossenes Kapitel deines Lebens ist, denn wir wissen schließlich beide, dass das nicht stimmt.«
    Und wie recht sie damit hat! Wenn man sein Leben erst einmal vor den Lesern weltweit ausgebreitet hat, ist nichts abgeschlossen, ganz im Gegenteil. Es ist wie ein aufgeschlagenes Buch, und hin und wieder war schon allein das unerträglich. Nur noch übertroffen von den unverblümten Meinungen bestimmter Personen. In Das Turmzimmer distanziere ich mich nicht ausreichend vom Nationalsozialismus, meinten sie mit der Empörung der im Nachhinein Klugen auf ihrer Seite. Was war eigentlich mit dem Krieg? Hat er sich oder hat er sich nicht direkt vor den Mauern von Liljenholm abgespielt? Ich hätte alles weniger geschnörkelt aufbauen, von etwas anderem schreiben sollen, hätte weniger Effekte einsetzen und anstelle der ganzen frustrierten Weiber mehr Männer porträtieren müssen. Was sollte der ganze Wahnsinn überhaupt, ganz zu schweigen von all den Perversionen, mit denen konfrontiert zu werden wir nicht gebeten haben . Man stelle sich einmal vor, dass ein Kritiker das tatsächlich einmal geschrieben hat, als würde er es ernsthaft vorziehen, dass sie stattdessen unter der Oberfläche brodelten. Aber trotzdem verkaufte sich das Buch ausgezeichnet, sowohl während als auch nach dem Krieg.
    Es gab Höhen und Tiefen, und es gab Vorwürfe. Alles andere wäre in Anbetracht dessen, wie kontrovers die Geschichte schließlich geworden ist, auch seltsam gewesen. Man soll zwar nicht für die Toten sprechen, doch nichtsdestotrotz mache ich eine Ausnahme. Denn ich zweifle nicht einen Moment daran, dass Das Turmzimmer mir und Nella die besten Jahre unseres Lebens beschert hat. Ich war die Autorin, Nella die Herausgeberin. Näher bin ich einer glücklichen Beziehung nie gekommen.
    Ich möchte noch etwas sagen, aber ich weiß nicht, wie. Was das angeht, wird das Schreiben nie zur Routine werden. Immer gibt es etwas, von dem man nicht weiß, wie man es formulieren soll. Jedenfalls geht es um die Nächte, wenn sich Marguerite, mögliche Gäste von ihr und meine Haushälterin längst zur Ruhe begeben haben. In der Regel sitze ich dort, wo ich auch jetzt sitze, und wo Antonia vor mir gesessen hat, an dem alten Schreibtisch im Arbeitszimmer, unten im Turm, mit Aussicht auf den Park. Ohne Vorwarnung dringt mit einem Mal die Dunkelheit in meine Poren. Die ächzenden Laute suchen sich ihren Weg direkt in meine Blutbahn. Innerhalb von Sekunden merke ich, dass ich zittere, und nach und nach kommen die Gedanken angeschlichen. Dass ich bei allem Wichtigen immer zu spät gekommen bin und mir das erst sehr viel später klar geworden ist. Dass alles Mögliche mich daran gehindert hat, glücklich zu sein, und ich nicht einmal sagen kann, was das Schlimmste davon war. Dass ich auf eine glänzende Karriere als Autorin zurückblicken kann und mir trotzdem geplündert vorkomme wie ein alter Kleiderbügel. Ich habe auf zu viel verzichtet und zu wenig bekommen, so fühlt es sich an.
    Zwölf Romane
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