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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff
Autoren: B. Traven
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Sommerdämmerung. Ich schlurkste zufrieden mit der Welt durch die Straßen und konnte mir nicht denken, daß irgend jemand auf der Welt sei, dem diese Welt nicht gefallen möchte. Ich sah mir die Schaufenster an, und ich sah mir die Leute an, denen ich begegnete. Hübsche Mädels, verflucht noch mal, alles was recht ist. Manche freilich beachteten mich gar nicht; die aber, die mich anlachten, waren gerade die hübschesten. Und wie nett sie lachen konnten! Dann kam ich zu einem Hause, dessen Front schön vergoldet war. Es sah so lustig aus, das ganze Haus und die Vergoldung. Die Türen waren weit offen und sagten: »Komm nur ’rein, Freund, just für eine kleine Weile, setz dich, mach dir’s bequem und vergiß deine Sorgen.«
    Ich hatte überhaupt keine Sorgen, aber es war doch drollig, daß jemand zu einem sagte, man möge die Sorgen vergessen. Das war so lieb. Und drinnen, in dem Hause, da waren schon eine ganze Menge Leute, und die waren alle so lustig, hatten ihre Sorgen vergessen, sangen und lachten, und da war so eine vergnügte Musik. Nur um zu sehen, ob das Haus drinnen ebenso vergoldet sei wie draußen, ging ich hinein und setzte mich auf einen Stuhl. Sofort kam ein Bursche, lachte mich an und setzte mir eine Flasche und ein Glas gerade vor die Nase. Man mußte es mir wohl an der Nasenspitze ansehen, denn er sagte sofort in Englisch: »Bedienen Sie sich, mon ami, und seien Sie vergnügt wie alle die übrigen hier.«
    Nur fröhliche Gesichter rundherum, und wochenlang hat man nichts weiter vor Augen gehabt als Wasser und stinkende Farbe. Und so war ich halt vergnügt, und von jenem Augenblick an konnte ich mich auf nichts Bestimmtes mehr besinnen. Ich tadele nicht jenen freundlichen Burschen, wohl aber die Prohibition, die uns so schwach gegenüber Versuchungen macht. Gesetze machen immer schwach, weil es einem in der Natur liegt, Gesetze zu übertreten, die andre gemacht haben.
    Die ganze Zeit hindurch war ein ganz drolliger Nebel immer um mich herum, und spät in der Nacht fand ich mich in dem Zimmer eines hübschen lachenden Mädchens.
    Endlich sagte ich zu ihr: »Well, Mademoiselly, wie spät haben wir es denn?«
    »Oh«, sagte sie mit ihrem hübschen Lachen, »du hübscher Junge – « Yes, Gentlemen, ganz gewiß, das sagte die Mademoiselly zu mir, »hübscher Junge, o du hübscher Junge«, sagte sie, »nun sei kein Spaßverderber, sei ein Kavalier, laß eine zarte junge Dame nicht allein um Mitternacht. Da können vielleicht Einbrecher in der Nähe sein, und ich bin so schrecklich furchtsam, die Einbrecher könnten mich vielleicht gar ermorden.«
    Na, ich kenne doch die Pflicht eines rotblütigen amerikanischen Jungen unter solchen Umständen, wenn er ersucht wird, einer hilflosen schwachen Dame beizustehen. Von meinem ersten Atemzuge an ist mir gepredigt worden: Benimm dich anständig in Gegenwart von Damen, und wenn dich eine Dame um etwas bittet, dann hast du zu flitzen und es zu tun, und wenn es dich das Leben kosten sollte.
    Gut, am Morgen, sehr früh, sauste ich ’raus zum Hafen. Aber da war keine Tuscaloosa zu sehen. Der Platz, wo sie gelegen hatte, war leer. Sie war heimgegangen nach dem sonnigen New Orleans, heimgegangen, ohne mich mitzunehmen.
    Ich habe Kinder gesehen, die sich verlaufen hatten und denen die Mutter abhanden gekommen war; ich habe Leute gesehen, denen ihr Häuschen abgebrannt oder von Wasserfluten fortgeschwemmt war, und ich habe Tiere gesehen, denen ihr Gefährte abgeschossen oder weggefangen war. Das alles war sehr traurig. Aber das traurigste aller Dinge ist ein Seemann in fremdem Lande, dem soeben sein Schiff fortgefahren ist, ohne ihn mitzunehmen. Der Seemann, der zurückgeblieben ist. Der Seemann, der übriggeblieben ist.
    Es ist nicht das fremde Land, das seine Seele bedrückt und das ihn weinen macht wie ein kleines Kind. Er ist fremde Länder gewöhnt. Er ist oft freiwillig zurückgeblieben und hat oft abgezeichnet, abgemustert aus Gründen irgendwelcher Art. Da fühlt er sich nicht traurig oder bedrückt. Aber wenn das Schiff, das seine Heimat ist, wegfährt, ohne ihn mitzunehmen, dann kommt zu dem Gefühl der Heimatlosigkeit das tötende Gefühl des Überflüssigseins. Das Schiff hat nicht auf ihn gewartet, es kann ohne ihn fertig werden, es braucht ihn nicht. Ein alter Nagel, der irgendwo herausfällt und zurückbleibt, kann dem Schiff zum Verhängnis werden, der Seemann, der sich gestern noch so wichtig dünkte für das Wohl und für das Wandern des Schiffes, ist
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