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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff
Autoren: B. Traven
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Hafen. Er hatte hohe Wolkenkratzer und Miethäuser, deren Fenster alle erleuchtet waren. Und hinter den Fenstern saßen die Leute traulich beisammen und wußten nichts davon, daß hier auf dem Flusse zwei Tote dahinglitten.
    Und die Wolkenkratzer und die hohen Wohnhäuser wuchsen und wuchsen. Welch ein gewaltiger Hafen war es, an dem wir vorüberglitten. Immer höher und höher wuchsen die Wolkenkratzer, bis sie endlich den Himmel erreichten. Und die Tausende funkelnden Lichter des Hafens, der Wolkenkratzer und der traulichen Wohnhäuser, wo man nichts wußte von den vorübergleitenden Toten, waren wie Sterne des Himmels. Und oben steil über meinem Haupte trafen die Wolkenkratzer zusammen, und ich sah ihre Fenster leuchten, und ich hoffte, die Gebäude möchten zusammenbrechen und mich unter sich begraben. Es war die große Sehnsucht des Toten, begraben zu werden und nicht mehr wandern zu müssen.
    Ich bekam Angst und rief: »Stanislaw. Da ist ein großer Hafen. Sieht aus wie New York.«
    Stanislaw wurde munter, guckte sich um, sah durch den dünnen Nebel zu den Ufern des Flusses, rieb sich die Augen, guckte hoch über sich und sagte dann: »Du träumst, Pippip, die Lichter des großen Hafens sind Sterne. Da ist auch kein Ufer. Wir sind auf hoher See. Spürst du doch an den langen Wellen.«
    Er konnte mich nicht überzeugen. Ich wollte nun doch zum Ufer schwimmen und den großen Hafen erreichen. Aber als ich das Tau lösen wollte, fielen mir die Hände schlaff herunter, und ich schlief ein.
    Durst und Hunger machten mich wach. Es war Tag.
    Stanislaw sah mich an mit verquollenen Augen. Mein Gesicht war verkrustet von dem Salzwasser. Ich bemerkte, wie Stanislaw würgte, als wollte er seine eigne Zunge kauen oder als sei sie ihm im Wege und lege sich vor die Luftröhre.
    In seinen Augen glomm Wut auf, und er rief mit rauher Stimme: »Du hast immer gesagt, das Wasser auf der ›Yorikke‹ stinkt. Das ist nicht wahr. Das ist Quellwasser, ganz frisches, klares Quellwasser aus dem Tannenwalde.«
    »Das Wasser stank nie«, bestätigte ich, »das Wasser war Eiswasser. Und der Kaffee war guter Kaffee. Ich habe nie etwas gegen den Kaffee auf der ›Yorikke‹ gesagt.«
    Stanislaw schloß die Augen. Doch nicht lange darauf schreckte er zusammen und schrie: »Zwanzig vor fünf Pippip, ’raus. Hol das Frühstück. Hiev die Asche. Das Frühstück zuerst. Pellkartoffeln und Rauchhering. Den Kaffee. Viel Kaffee. Bring Wasser mit.«
    »Ich kann nicht aufstehen«, gab ich ihm zur Antwort. »Bin gebrochen. Zu müde. Mußt heute allein hieven. Wo ist denn der Kaffee?«
    Wie war das? Ich hörte Stanislaw schreien, aber er war zwei Meilen fort. Und meine Stimme war auch zwei Meilen weit fort von mir.
    Nun brachen auch noch drei Feuertüren auf, und die Hitze war nicht zu ertragen. Ich lief zur Windhuze, um Atem zu schöpfen. Aber der spanische Heizer schrie: »Pippip, die Feuertüren zu, der Dampf fällt.« Aller Dampf fiel in den Kesselraum, und es wurde immer heißer. Ich lief zum Trog, wo das Schlackenlöschwasser drin war, um meinen Durst zu löschen, aber es schmeckte salzig und widerlich. Ich schnappte und schnappte und trank es wieder, und der Feuerungskanal stand ganz weit offen über meinem Kopfe am Himmel und war die Sonne, und ich trank Seewasser.
    Dann schlief ich wieder ein, und die Türen der Feuerkanäle waren geschlossen, und der Heizer goß den Trog mit dem Schlackenwasser über den Kesselraum, und ich war auf dem offnen Meer, und ein Wellenkamm war über die Wand hinweggebrochen.
    »Da ist die ›Yorikke‹!« schrie Stanislaw viele Meilen weit fort von mir. »Das ist das Totenschiff. Der Hafen. Der Norweger liegt da. Er hat Eiswasser. Siehst du nicht, Pippip?«
    Mit beiden Armen, die Fäuste geballt, deutete Stanislaw über das weite Meer.
    »Wo ist die ›Yorikke‹?« rief ich.
    »Siehst du sie denn nicht, Mensch? Da liegt sie ja. Sechs Roste sind ’rausgefallen. Verflucht. Jetzt acht. Himmelkreuzdonnerwetter! Wo ist der Kaffee, Pippip? Habt ihr wieder alles weggesoffen. Das ist keine Schmierseife, du Hund, das ist Butter. Gib den Tee jetzt her, verflucht noch mal.«
    Stanislaw fuhr herum, bald zeigte er in diese Richtung, bald in jene. Immer fragte er, ob ich denn die »Yorikke« und den Hafen nicht sähe.
    Aber mir war das gleichgültig. Es tat mir weh, den Kopf nach dem Hafen zu drehen.
    »Wir kommen ab! Wir kommen ab!« brüllte nun Stanislaw.
    »Ich muß ’rüber zur ›Yorikke‹. Die Roste sind alle ’raus.
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