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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt
Autoren: Tom Kahn
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Liebkosungen.
    »Nicht ganz. Es ist Tao für Anfänger. So, dass auch ein ungeübter Europäer es verstehen kann.« Sie sagte es noch einmal und
     umfasste ihn dabei.
    Deckers Erregung wuchs. »Nun sag schon, was heißt es? Ich verstehe es nicht.«
    Sie lachte leise und flüsterte ihm zu: »
Nimm mich, Herr Professor!«

|405|
Die Geister, die ich rief, werd ich nicht mehr los.
     
    Johann Wolfgang von Goethe
    Epilog
    Wenige Tage später saß Decker entspannt in seiner Bibliothek und schwenkte seinen Wein im Glas. Einen Lafite Rothschild. Er
     lächelte zufrieden bei dem Namen und räkelte sich in den weichen Kissen des Sofas. Die Bowers & Wilkins High End Lautsprecher
     mit ihren knallgelben Kevlarmembranen verwandelten den Raum in einen Konzertsaal und mussten ausnahmsweise nicht unter AC/DC
     leiden. Er hatte sich eine neue CD gekauft, und es erklang Verdi.
La donna è mobile   ...
    Decker dachte an den Abschied von Li Mai. Es war, als hätte ihn jemand ins kalte Wasser gestoßen: Sie wurde von der Maschine
     abgeholt, die er nur allzu gut kannte. An der Treppe fragte er noch: »Sehen wir uns wieder?«
    Sie hatte ihm einen langen Kuss gegeben und ging dann schweigend die Treppe hinauf. Aber – sie hatte sich noch einmal umgedreht,
     bevor sie im Inneren verschwand. Decker blickte ihr sprachlos hinterher und dachte verzweifelt: Frauen sind nicht dazu da,
     dass man sie versteht – sondern dass man sie liebt.
    Was für eine Frau! Er dachte an den Taoismus, an die |406| Harmonie der Geschlechter. Und daran, dass ihm eigentlich etwas in seinem Leben fehlte.
    Aus der Entfernung und aus der Sicherheit seiner Wohnung gestattete er sich einen innerlichen Ausflug zurück nach Asien und
     zu seinen Erlebnissen. Das ein oder andere Bild kam hoch. Erinnerungsfetzen zogen wie Wolken am Himmel vorbei. Er wollte zur
     Ruhe finden aber wurde statt dessen unruhig. Etwas in ihm hielt die Räder am Laufen.
    Selbst jetzt noch.
    Auf dem Weg ins Schlafzimmer fiel Deckers Blick auf den Dom. Hier fanden die Wahlen zu den Kaisern des Heiligen römischen
     Reiches deutscher Nation statt. Eine der wenigen Fälle der Geschichte, in denen ein König nicht einfach seinen Sohn auf den
     Thron setzen konnte. In der Nacht wachte Decker auf. Es arbeitete in seinem Unbewussten.
    Er hatte etwas übersehen. Das fühlte er. Die ganze Zeit hindurch war es latent vorhanden gewesen. Aber es fand nicht seinen
     Weg an die Oberfläche.
    Jetzt wurde es eine Ahnung: Es war noch nicht vorbei. Es fehlte noch der Schlussstein des Ganzen.
Das letzte Teil im Mosaik des Unvorstellbaren.
Es musste so ungeheuerlich sein, dass es einfach undenkbar war. Dabei lag es vielleicht seit dem ersten Tag auf der Hand.
    Er stand auf, ging an den Schreibtisch und machte die kleine Lampe an. Die Fragmente seiner Gedanken und Ideen kreisten umeinander,
     bildeten Paare, Dreiergruppen, Strukturen und fielen wieder auseinander, um neue Verbindungen einzugehen. Es gab eine Möglichkeit,
     die Fragmente alle zu einem Ganzen zusammenzusetzen, das drängte sich ihm auf. Das wusste er. Aber wie?
    Deckers Blicke wanderten über die langen Reihen der |407| Bücher. Es ist alles da.
Es steht hier irgendwo und ich weiß es. Aber ich erfasse es nicht im Zusammenhang
. Als ob man wie beim Tangram Puzzle mit bekannten und gleichen Teilen nur eine neue Figur erstellen müsste.
    Ein Schaudern überkam ihn. Ein leichtes, kaltes Grauen stieg aus den Tiefen seiner Seele empor. Ein Hauch von Ohnmacht und
     Todesangst. Die Ahnung des Bösen. Er spürte, dass er davor zurückschreckte. Vor was?
    Er schaltete seine Laptops ein, öffnete etliche Bücher, die auf den Tischen herumlagen, verstreute Fotos und Landkarten.
Es ist hier. Es grinst mich an und ich sehe es nicht.
    Seine Blicke wanderten umher. Er hatte den gesamten tibetischen Buddhismus inhaltlich auseinandergenommen. Er hatte seine
     Verwendung als politisches Instrument aufgezeigt. Er hatte Hitlers Absichten erkannt, in der alten Bön-Religion seine Wurzeln
     zu finden und einen neuen Kult zu erschaffen, der ihn in den Mittelpunkt stellte. Richard Wagner hatte ihn auf die Idee gebracht,
     mit seiner Verherrlichung der germanischen Sagenwelt, bis zur Identifikation mit Wotan, bis zur Gottwerdung Hitlers. Die Hölle
     in Tibet. Die Kriegerrasse. Den Ursprung der Arier und der Wahnsinn der menschlichen Seele. Es passte alles so weit.
    Und dennoch fehlte noch etwas Entscheidendes. Warum war dieser S S-Mann bereit gewesen, noch heute zu
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