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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt
Autoren: Tom Kahn
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das sonore Brummen
     des GT 2   Motors die Vorhalle des Bildungstempels. Die Luft über den Kühlrippen der 530   PS |14| starken Rennmaschine flimmerte. Im Gegensatz zu all den anderen ordentlich neben dem Gebäude geparkten Wagen wirkte er wie
     ein Gefährt aus einer anderen Welt. Natürlich gab es in Frankfurt noch ein paar andere schnelle Wagen dieser Art – aber keinen
     in solch einer Aufmachung: der original dreifarbigen Camouflage des Heeres. Mit dem Schriftzug
Porsche
in leuchtendem Gelb auf dem Heck. Als er die Tarnbemalung in Auftrag gegeben hatte, war man in Zuffenhausen fassungslos, und
     um sicherzugehen hatte das Werk dreimal nachgefragt, ob er das denn ernst meine. Seine Antwort war dreimal »na klar«.
    Decker stieß die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Er zog an seinen Manschetten, rückte seinen dunkelblauen italienischen
     Maßanzug und die schimmernde Seidenkrawatte zurecht und nahm die Sonnenbrille ab. Ohne sich umzusehen ging er mit kraftvollen
     Schritten geradewegs die breite Treppe hinauf in die Oper.
    Auf seinem Weg nach oben ins Foyer, wo die Sendung stattfinden sollte, dachte er an die Inschrift über dem Giebel des stolzen
     Hauses im Stil der Neorenaissance: Dem Wahren, Schönen, Guten hatten die Frankfurter Bürger ihren Musentempel geweiht. Ein
     Bollwerk der Aufklärung und des Humanismus. Das passte zum Thema der heutigen Talk Show. Am Anfang des 21.   Jahrhunderts mit all seinen religiösen Strömungen konnte man ruhig einmal wieder daran erinnern, wes Geistes Kind Europa eigentlich
     war.
     
    Der Moderator der Sendung war ein beliebter und bekannter Nachrichtensprecher. Er schaute nervös auf die Uhr und tauschte
     fragende Blicke mit dem Aufnahmeleiter |15| . Die Zuschauerreihen waren gefüllt und auch die Gäste waren schon da. Bis auf Dr.   Decker. Wo blieb der Kerl nur?
     
    Im Publikum saß auch eine attraktive Chinesin. Anders als die anderen Zuschauer wirkte sie sehr konzentriert. Sie war direkt
     aus Peking eingeflogen und hatte sich ohne Zwischenaufenthalt in die Alte Oper begeben. Sie wartete vielleicht noch gespannter
     auf Decker als der Moderator.
    Einiges wusste sie schon aus dem Internet. Sie kannte sein Foto, seine Biografie und seine Publikationen. Er schien genau
     der Mann zu sein, den sie brauchte. Aber ohne persönlichen Eindruck durfte sie nichts unternehmen. Niemand im Saal konnte
     ahnen, welche Pläne sie im Kopf hatte – und dass sie zum Geheimdienst gehörte.
    Als Decker den Saal betrat, atmete nicht nur der Moderator auf. Die Chinesin verfolgte jeden seiner Schritte aufmerksam und
     versuchte, sich ein Bild von dem Mann zu machen, mit dem sie Kontakt aufnehmen sollte. Er war auf den ersten Blick alles andere
     als der typische Intellektuelle. Die Fernsehtechniker steckten ihm eilig das Mikrofon an, die Maske puderte ihm das Gesicht,
     und dann ging es auch schon auf die Bühne.
    Decker begrüßte den Gastgeber und die anderen Teilnehmer, die er zumeist von anderen Gelegenheiten schon kannte. Als er seinen
     Platz einnahm, wurde der Unterschied zu den akademischen Kollegen noch deutlicher. Dr.   Decker lebte offensichtlich nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaften. Seine hellwachen Augen verrieten nicht nur Intelligenz
     und Sinn für Ironie, sondern auch eine gewisse Abenteuerlust.
    Außerdem sieht er gut aus mit seinen 43   Jahren,
bemerkte die schlanke Chinesin. Wilde, blonde Lockenmähne |16| , braun gebrannt, sportlich, markantes Gesicht mit feinen Zügen und einem ausgeprägten Kinn. Sinnliche, schön geschwungene
     Lippen. Sehr selbstbewusst, aber auch sensibel – und ein wenig eitel.
Ein richtiger Indiana Jones
, dachte sie und hob bei dem Gedanken amüsiert einen Mundwinkel an. Warum nicht?
     
    Die Lichter im Saal wurden dunkler und Scheinwerfer erhellten jetzt die Bühne mit den Experten. Aus den Lautsprechern erklangen
     ein paar Takte Musik, um die Gäste einzustimmen und ihre Gespräche zu beenden. Als Decker die Melodie erkannte, musste er
     grinsen. Die
Götterdämmerung.
Sehr passend.
    »Wir gehen auf Sendung«, sagte der Moderator und wandte sich dann der Kamera mit dem roten Aufnahmelicht zu, die auf ihn gerichtet
     war. »Guten Abend, verehrte Zuschauer daheim und hier im Saal. Ich begrüße Sie im Foyer der Alten Oper in Frankfurt am Main
     zu unserer ›Expertenrunde‹. Wir haben heute ein ebenso faszinierendes wie kontroverses Thema: Die Religion. Wir wollen über
     den Ursprung des Glaubens reden, seine Veränderung
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