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Das Teufelsspiel

Das Teufelsspiel

Titel: Das Teufelsspiel
Autoren: Jeffery Deaver
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den satten Teint. Bei Singletons Körperbau hörte die Übereinstimmung allerdings auf. Geneva Settle war hager wie ein kleiner Junge, worauf die Mädchen, die im Delano Project wohnten, sie immer wieder gern hinwiesen.
    Sie wollte weiterlesen, aber ein Geräusch lenkte sie ab.
    Ein Klicken irgendwo im Raum. Ein Türschloss? Dann hörte sie Schritte. Sie hielten inne. Dann noch ein Schritt. Schließlich Stille. Geneva schaute sich um, sah jedoch niemanden.
    Sie erschauderte, ermahnte sich aber, nicht den Kopf zu verlieren. Ihr Argwohn ging auf üble Erfahrungen zurück: die Delano-Mädchen, die sie auf dem Schulhof der Langston Hughes Highschool in die Mangel nahmen, und das eine Mal, als Tonya Brown und ihre Bande aus den St. Nicholas Houses sie in eine Gasse zerrten und dermaßen verprügelten, dass sie einen Backenzahn verlor. Jungen grapschten, Jungen lästerten, Jungen demütigten. Aber die Mädchen ließen dich bluten.
    Auf den Boden mit ihr, gebt’s ihr, zeigt’s dem Miststück …
    Wieder Schritte. Wieder blieben sie stehen.
    Stille.
    Die Atmosphäre hier war nicht unbedingt vertrauenerweckend. Gedämpftes Licht, schale Luft, absolute Ruhe. Und es hielt sich niemand sonst hier auf, nicht um Viertel nach acht an einem Dienstagmorgen. Das Museum war noch geschlossen – die Touristen schliefen um diese Zeit oder saßen gerade beim Frühstück –, doch die Bibliothek öffnete um acht. Geneva hatte schon vor der Tür gewartet, so sehr hatte es sie gedrängt, diesen Artikel zu lesen. Nun saß sie in einer Nische am Ende einer großen Ausstellungshalle, in der gesichtslose Modepuppen Kleidung aus dem neunzehnten Jahrhundert trugen und an deren Wänden Gemälde von Männern mit bizarren Hüten hingen, von Frauen mit Hauben auf dem Kopf und von Pferden mit seltsam dünnen Beinen.
    Ein weiterer Schritt, ein weiteres Innehalten.
    Sollte sie lieber aufstehen und sich zu Dr. Barry, dem Bibliothekar, gesellen, bis dieser unheimliche Kerl verschwand?
    Und dann lachte der andere Besucher.
    Es klang nicht merkwürdig, sondern fröhlich.
    Und er sagte: »Okay. Ich rufe später zurück.«
    Sie hörte, wie ein Mobiltelefon zusammengeklappt wurde. Deshalb war er immer wieder stehen geblieben: Er hatte einfach nur der Person am anderen Ende der Leitung zugehört.
    Ich hab dir doch gleich gesagt, es besteht kein Grund zur Sorge, Mädchen. Leute, die lachen und beim Telefonieren freundliche Sachen sagen, sind nicht gefährlich. Er ist langsam gegangen, weil jemand, der redet, nun mal eben langsam geht – obwohl es genau genommen ziemlich rücksichtslos ist, in einer Bibliothek zu telefonieren.
    Geneva wandte sich wieder dem Bildschirm des Lesegeräts zu. Hast du es geschafft zu entkommen, Charles?, dachte sie. Mann, ich drück dir die Daumen.
    Doch er kam wieder auf die Beine und setzte die feige Flucht fort, anstatt sich wie ein mutiger Mann für seine Tat zu verantworten.
    So viel zum Thema objektive Berichterstattung, dachte sie verärgert.
    Eine Weile gelang es ihm noch, sich den Verfolgern zu entziehen, doch die Flucht war nicht von langer Dauer. Ein Negerkaufmann, der auf der Veranda seines Ladens stand, sah den Freigelassenen und beschwor ihn im Namen der Gerechtigkeit, sich zu stellen. Er sagte, er habe von Mr. Singletons Verbrechen gehört und werfe ihm vor, dadurch Schande über alle Farbigen des Landes gebracht zu haben. Dieser Bürger, ein gewisser Walker Loakes, warf daraufhin einen Ziegelstein nach Mr. Singleton, um ihn zu Fall zu bringen.
    Charles kann dem schweren Stein ausweichen. »Ich bin unschuldig«, ruft er dem Mann zu. »Ich habe nicht getan, was die Polizei mir zur Last legt.«
    Genevas Vorstellungskraft hatte erneut dafür gesorgt, dass sie völlig in der Geschichte aufging.
    Aber Loakes ignoriert die Behauptung des Freigelassenen, läuft auf die Straße und ruft den Polizisten zu, der Gesuchte sei zum Hafen unterwegs.
    Dem früheren Sklaven ist schwer ums Herz, und er muss immer wieder an Violet und ihren gemeinsamen Sohn Joshua denken. Verzweifelt setzt er seine Flucht fort.
    Er rennt und rennt …
    Hinter ihm ertönt das Hufgetrappel der Polizeipferde. Vor ihm tauchen weitere Reiter auf, angeführt von einem behelmten Beamten, der drohend eine Pistole schwingt. »Halt, Charles Singleton! Keine Bewegung! Ich bin Detective Captain William Simms und seit zwei Tagen auf der Suche nach dir.«
    Der Freigelassene gehorcht. Er lässt die breiten Schultern hängen, senkt die starken Arme und saugt mit tiefen
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