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Das Teufelsspiel

Das Teufelsspiel

Titel: Das Teufelsspiel
Autoren: Jeffery Deaver
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Atemzügen die feuchte, faulige Luft am Ufer des Hudson River ein. In der Nähe steht das Frachtbüro der Hafenschlepper, und überall auf dem Fluss sieht Charles die Masten der Segelschiffe emporragen, als wollten sie ihn vielhundertmal mit ihrer Verheißung der Freiheit verhöhnen. Keuchend lehnt er sich gegen das große Schild der Swiftsure Express Company und blickt dem Beamten entgegen. Die Hufschläge des Pferdes hallen laut von den Pflastersteinen wider.
    »Charles Singleton, du bist hiermit wegen Einbruchdiebstahls verhaftet. Ergib dich freiwillig, oder wir werden dich zwingen. Du wirst in Ketten gelegt, aber es liegt ganz bei dir, ob es für dich dabei ohne Schmerzen oder mit Blutvergießen abgeht.«
    »Man wirft mir ein Verbrechen vor, das ich nicht begangen habe!«
    »Ich wiederhole: Ergib dich oder stirb. Eine andere Wahl hast du nicht.«
    »Doch, Sir, die habe ich«, ruft Charles und rennt wieder los – genau auf den Kai zu.
    »Stehen bleiben oder wir schießen!«, ruft Detective Simms.
    Aber der Freigelassene springt mit einem Satz über die Brüstung des Kais wie ein Pferd über ein Hindernis. Einen Moment lang scheint er zu schweben, dann stürzt er mit rudernden Armen neun Meter hinab in das trübe Wasser des Hudson River. Dabei murmelt er ein paar Worte, vielleicht ein Stoßgebet, vielleicht eine Liebeserklärung an Frau und Kind, doch was auch immer es sein mag, keiner der Verfolger kann es hören.
     
    Der einundvierzigjährige Thompson Boyd war noch fünfzehn Meter von dem Mädchen entfernt und kam langsam näher.
    Er trug bereits Latexhandschuhe, zog sich nun die Skimaske über das Gesicht, rückte die Sehschlitze zurecht und öffnete kurz die Trommel seines Revolvers, um sicherzugehen, dass nichts klemmte. Zwar hatte er das zuvor schon überprüft, aber in seiner Branche konnte man nicht vorsichtig genug sein. Er steckte die Waffe in die Tasche des dunklen Regenmantels und holte einen Schlagstock hervor.
    Boyd befand sich in der Ausstellungshalle zwischen den Bücherregalen, hinter denen die Tische mit den Mikrofilmlesegeräten standen. Seine Augen brannten an jenem Morgen ausgesprochen heftig. Er rieb sie sich mit zwei Fingern und musste vor Schmerz blinzeln.
    Dann vergewisserte er sich abermals, dass niemand sonst sich im Raum aufhielt.
    Es gab weder hier noch unten im Gebäude irgendwelche Wachleute. Auch keine Überwachungskameras oder Besucherlisten, in die man sich eintragen musste. Alles bestens. Dennoch blieben ein paar logistische Probleme. In dem großen Saal war es absolut still, und Thompson konnte sich nicht unbemerkt anschleichen. Das Mädchen würde demnach wissen, dass jemand anders zugegen war, und womöglich nervös oder zumindest hellhörig werden.
    Daher hatte er diesen Flügel der Bibliothek betreten, die Tür hinter sich verriegelt und dann ein leises Lachen von sich gegeben. Thompson Boyd lachte schon seit vielen Jahren nicht mehr. Doch er war ein Profi und wusste um die Macht der guten Laune – und wie er sie sich für seine Arbeit zunutze machen konnte. Ein Lachen – verbunden mit einem heiteren Abschiedsgruß und dem Geräusch eines zusammenklappenden Mobiltelefons – würde das Mädchen in Sicherheit wiegen, schätzte er.
    Der Trick schien zu funktionieren. Boyd warf einen schnellen Blick um das Regalende herum und sah das Mädchen, das auf den Bildschirm des Lesegeräts starrte. Ihre Hände hingen zu beiden Seiten herab, ballten sich fortwährend zu Fäusten und öffneten sich wieder. Offenbar war sie in eine aufregende Lektüre vertieft.
    Boyd ging los.
    Und hielt im selben Moment inne. Das Mädchen stand vom Tisch auf. Er hörte ihren Stuhl über das Linoleum scharren. Wollte sie etwa den Raum verlassen? Nein. Er vernahm das Geräusch des Trinkbrunnens und ein paar gierige Schlucke. Dann hörte er sie Bücher aus dem Regal ziehen und neben dem Lesegerät stapeln. Es herrschte kurz Stille, dann holte sie noch mehr Bücher und legte sie mit dumpfem Laut auf dem Tisch ab. Schließlich folgte das Quietschen des Stuhls, als sie sich wieder hinsetzte. Dann war alles ruhig.
    Thompson schaute erneut. Sie saß an ihrem Platz und las in einem der zehn oder zwölf Bücher, die sich vor ihr auftürmten.
    Er ging wieder los, in der Rechten den Schlagstock, in der Linken die Tüte mit den Kondomen, dem Teppichmesser und dem Isolierband.
    Nun kam er direkt auf sie zu, war noch sieben Meter hinter ihr, dann fünf. Er hielt den Atem an.
    Drei Meter. Auch falls sie nun
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