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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier
Autoren: Philip Roth
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Radioästhet, die unangefochtene Autorität des New Yorker Lokalfernsehens in Hinblick auf die Frage, was man im Augenblick sehen, hören und lesen sollte - ich hatte sie zu einem großen Kunstwerk erklärt und ihr all den magischen Einfluß eines großen Kunstwerks zugeschrieben. Den Einfluß, den nicht der Künstler selbst hat, sondern das Kunstwerk. Hier gab es nichts, was sie nicht verstehen konnte - sie brauchte nur dazusein, sichtbar zu sein, und das Verständnis ihrer Bedeutung strömte aus mir hervor. Von ihr wurde keinerlei Selbstverständnis erwartet, ebensowenig wie von einem Violinkonzert oder dem Mond. Dafür war ich da: Ich war Consuelas Bewußtsein ihrer selbst. Ich war die Katze, die den Goldfisch beobachtet. Nur daß es in diesem Fall der Goldfisch war, der die Zähne hatte.
    Die Eifersucht. Dieses Gift. Und dabei gibt es keinen Anlaß. Ich bin sogar eifersüchtig, wenn sie mir erzählt, daß sie mit ihrem achtzehnjährigen Bruder zum Schlittschuhlaufen gehen will. Wird er derjenige sein, der sie mir stiehlt? Bei diesen obsessionellen Liebesaffären ist man nicht so selbstbewußt wie sonst, nicht wenn man sich mitten in diesem Strudel befindet und nicht wenn das Alter der Frau ein Drittel des eigenen beträgt. Ich bin besorgt, wenn wir nicht jeden Tag einmal miteinander telefonieren, und nachdem wir miteinander telefoniert haben, bin ich ebenfalls besorgt. Wenn Frauen früher regelmäßige Telefongespräche verlangt haben, wenn sie mich ständig angerufen haben, wie ich es jetzt tue, habe ich mich von ihnen getrennt - und jetzt bin ich es, der diese Gespräche verlangt: Sie sind die tägliche Dosis, die ich per Telefon bekomme. Warum schmeichle ich ihr bei diesen Gesprächen? Warum höre ich nicht auf, ihr zu sagen, wie vollkommen sie ist? Warum habe ich immer das Gefühl, daß das, was ich zu ihr sage, falsch ist? Ich bin nicht imstande, herauszufinden, was sie von mir hält, was sie von irgend etwas hält, und meine Verwirrung läßt mich Dinge sagen, die für meine Ohren falsch oder übertrieben klingen, und so habe ich, wenn ich aufgelegt habe, eine stille Wut auf sie. Doch an den seltenen Tagen, an denen ich es schaffe, mich so weit zu beherrschen, daß ich nicht mit ihr spreche, sie nicht anrufe, ihr nicht schmeichle, nicht falsch klinge, ihr nicht insgeheim vorwerfe, was sie mir unwissentlich antut - an diesen seltenen Tagen ist es noch schlimmer. Egal, was ich tue - ich kann nicht damit aufhören, und alles, was ich tue, regt mich auf. In Hinblick auf Consuela fehlt mir die Autorität, die ich für mein inneres Gleichgewicht brauche, und dabei kommt sie gerade wegen dieser Autorität zu mir.
    An den Abenden, an denen sie nicht bei mir ist, bin ich außer mir bei dem Gedanken daran, wo sie jetzt sein mag und was sie gerade vorhat. Aber selbst wenn sie einen ganzen Abend lang bei mir gewesen und dann nach Hause gegangen ist, kann ich nicht schlafen. Die Empfindung ist einfach zu stark. Ich setze mich mitten in der Nacht im Bett auf und rufe: »Consuela Castillo, laß mich in Ruhe!« Es reicht, sage ich zu mir. Steh auf, bezieh das Bett neu, dusche noch einmal, befreie dich von ihrem Duft, und dann befreie dich von ihr! Du mußt es tun. Es ist eine endlose Sache geworden. Wo bleibt die Erfüllung, das Gefühl, zu besitzen? Warum kannst du sie nicht haben, wenn du sie hast? Selbst wenn du kriegst, was du willst, kriegst du nicht das, was du willst. Du findest darin keinen Frieden, und du wirst ihn nie finden, und zwar wegen eures Alters und der unvermeidlichen Wehmut. Wegen eures Alters hast du den Genuß, aber du verlierst nie die Sehnsucht. War dies noch nie geschehen? Nein. Ich war noch nie zweiundsechzig gewesen. Ich befand mich nicht mehr in jener Phase des Lebens, in der ich dachte, ich wäre zu allem imstande. Doch ich erinnerte mich deutlich. Man sieht eine schöne Frau. Man sieht sie auf einen Kilometer Entfernung. Man geht zu ihr und sagt: »Wer sind Sie?« Man lädt sie zum Abendessen ein. Und so weiter. Jene Phase also, in der man sich keine Sorgen macht. Man steigt in einen Bus. Eine so überwältigend schöne Frau, daß jeder Angst hat, sich neben sie zu setzen. Der Platz neben der schönsten Frau der Welt ist frei. Also setzt man sich dorthin. Aber jetzt ist nicht damals, und es wird nie ruhig, es wird nie friedlich sein. Ich machte mir Sorgen, weil sie in dieser Bluse herumlief. Man zieht ihr das Jackett aus, und da ist die Bluse. Man zieht ihr die Bluse aus, und da ist die
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