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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier
Autoren: Philip Roth
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heimeligen kubanischen Elternhauses ausbrach. Es war der eigentliche Beginn ihrer Dominanz - der Dominanz, zu der meine eigene Dominanz ihr verhelfen hatte. Ich bin der Urheber ihrer Dominanz über mich.
    Ich halte es für möglich, daß Consuela glaubte, in mir eine Version der Kultiviertheit ihrer Familie gefunden zu haben, die sie besitzen konnte, jener unwiederbringlich verlorenen aristokratischen Vergangenheit, die für sie mehr oder weniger ein Mythos ist. Einen Mann von Welt. Eine kulturelle Autorität. Ihren Lehrer. Die meisten Menschen finden diesen gewaltigen Altersunterschied abstoßend, doch gerade ihn findet Consuela besonders attraktiv. Die meisten Menschen bemerken nur die erotische Merkwürdigkeit, die für sie eine Widerwärtigkeit ist, eine widerwärtige Farce. Für Consuela jedoch hat mein Alter eine große Bedeutung. Diese jungen Frauen, die mit alten Männern zusammen sind, tun es nicht trotz des Alters - nein, sie fühlen sich vom Alter angezogen, sie tun es wegen des Alters. Warum? In Consuelas Fall wohl darum, weil der riesige Altersunterschied es ihr erlaubt, sich zu fügen. Mein Alter und mein Status geben ihr die vernunftmäßig nachvollziehbare Erlaubnis, sich zu unterwerfen, und im Bett ist Unterwerfung kein unangenehmes Gefühl. Doch sich in intimer Hinsicht einem viel, viel älteren Mann zu überlassen, verleiht einer solchen jungen Frau zugleich auch eine Autorität, die sie in einer sexuellen Beziehung mit einem jüngeren Mann nicht haben kann. Sie kommt ebenso in den Genuß der Unterwerfung wie in den Genuß der Dominanz. Was bedeutet es schon für eine so offenkundig begehrenswerte Frau, wenn ein junger Mann sich ihrer Macht unterwirft? Aber was ist, wenn ein Mann von Welt sich ihr unterwirft, einzig und allein, weil sie die Macht der Jugend und der Schönheit besitzt? Daß sie Gegenstand seines uneingeschränkten Interesses ist, daß sie die Leidenschaft eines Mannes geweckt hat, der in jedem anderen Zusammenhang unerreichbar wäre, daß sie Zugang zu einem Leben gefunden hat, das sie bewundert und das ihr sonst verschlossen bleiben würde - das ist Macht, das ist die Macht, nach der es sie verlangt. Die Dominanz wechselt nicht in regelmäßiger Folge - sie wechselt fortwährend. Es ist nicht so sehr ein Wechsel als vielmehr eine Verflechtung. Und darin liegt die Ursache nicht nur meiner Obsession für sie, sondern auch ihrer Obsession für mich. Das jedenfalls dachte ich damals, auch wenn es mir bei meinem Bemühen, zu verstehen, was ihre Beweggründe waren und warum ich immer tiefer in diese Obsession hineingeriet, nicht viel weiterhalf.
    Ganz gleich, wieviel man weiß, ganz gleich, wieviel man nachdenkt, ganz gleich, wieviel man erwägt und plant und sich vornimmt - man kann sich nicht über den Sex erheben. Es ist ein sehr riskantes Spiel. Ein Mann hätte nicht mal zwei Drittel der Probleme, die er hat, wenn er nicht danach trachten würde zu vögeln. Sex ist das, was unser normalerweise geordnetes Leben in Unordnung bringt. Das weiß ich so gut wie jeder andere. Jede kleine Eitelkeit kehrt zurück, um einen zu verspotten. Lesen Sie Byrons Don Juan. Aber was soll man machen, wenn man zweiundsechzig ist und glaubt, daß man nie wieder etwas so Perfektes in Händen halten wird? Was soll man machen, wenn man zweiundsechzig ist und der Drang, das zu ergreifen, was noch greifbar ist, nicht stärker sein könnte? Was soll man machen, wenn man zweiundsechzig ist und all die Körperteile, die bisher unauffällig waren (Nieren, Lunge, Venen, Arterien, Gehirn, Därme, Prostata, Herz) im Begriff sind, sich besorgniserregend bemerkbar zu machen, während das Organ, das sich ein Leben lang mehr als alle anderen bemerkbar gemacht hat, dazu verurteilt ist, zur Bedeutungslosigkeit zu verkümmern?
    Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht so, als könnte man sich mit Hilfe einer Consuela vorgaukeln, hier biete sich eine letzte Gelegenheit zu einer Rückkehr in die Jugend. Der Unterschied zur Jugend ist nie spürbarer. Ihre Energie, ihre Begeisterung, ihr jugendliches Unwissen, ihr jugendliches Wissen lassen den Unterschied in jeder Sekunde deutlich hervortreten. Man kann sich nie darüber hinwegtäuschen, daß sie die Vierundzwanzigjährige ist. Man müßte schon ein Idiot sein, um sich jung zu fühlen. Wenn man sich jung fühlen würde, wäre alles ganz leicht. Aber man fühlt sich keineswegs jung - vielmehr empfindet man schmerzlich, wie unbegrenzt ihre Zukunft im Vergleich zu der
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