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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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Rückkehr nach Kolumbien, dass 2006 noch ein Mann namens Robert Chesebrough Kennedy dort beerdigt worden sei, auch in einem der Gräber, die zur Straße hin lagen. Im Hintergrund standen zwei prächtige Magnolien, die ersten Bäume, die im Frühling blühten. Entlang der Straße hatte der Friedhof ein schön gearbeitetes schmiedeeisernes Gitter. Weil das Eingangstor immer abgeschlossen war, konnte niemand den Friedhof betreten, und im Winter war der Schnee immer sauber und glitzernd. Nur von Eichhörnchen und Vögeln waren Spuren zu sehen und bestimmt auch von Ratten, von denen es damals in der Stadt nur so wimmelte.
    »Mit den Ratten kommt die Beulenpest zurück, zur Verstärkung von Aids«, sagte ich zu Sara. »Aber was wäre New York ohne Tauben, Eichhörnchen, Ratten, Stadtstreicher und Kakerlaken?«
    »Was für eine Liste!«, erwiderte sie.
    Hier in La Mesa ist gerade der Himmel aufgebrochen. Ein gewaltiger Hagelschauer kommt herunter, und wenn die Eiskörner auf das Zinkblech im hinteren Teil des Hauses prasseln, gibt es ein herrliches Getöse. In La Mesa hagelt es sehr selten, ich erlebe es das erste Mal in sechzehn Jahren. Es ist dasselbe Getöse wie das des Lichts. Etwas Schöneres kann man kaum erleben. Es ist die Zerstörung des Ich, die Auslöschung des Individuums. Die Luft riecht nach Wasser und nach Staub, und man ist plötzlich nichts.
    Vor lauter Lärm kann ich nicht schreiben.

sechs
    Mit den Jungen waren wir ständig über Handy in Verbindung. Den ersten Halt auf dem Weg nach Chicago machten sie nach fünf Stunden Fahrt in einem Holiday Inn in Clearfield, Pennsylvania. Jacobo hatte es nicht mehr ausgehalten: Die Erschütterungen des Autofahrens steigerten seine Schmerzen ins Unermessliche. Wir hatten gedacht, dass sie gerade deshalb lieber fliegen sollten. Aber Jacobo wollte vorher noch etwas von der Welt gesehen haben und nicht so … abrupt ankommen. Und so entschlossen sie sich, bis Chicago mit dem Auto zu fahren, durch die Landschaften von Pennsylvania und an den Seen vorbei, und erst in Chicago das Flugzeug nach Portland zu nehmen.
    Ursprünglich hatten sie vorgehabt, die ganze Reise im Auto zu machen, aber 49 Stunden Fahrt – das wäre wegen Jacobos Schmerzen nicht gegangen. Für die Strecke New York–Chicago hatten sie zwei Tage eingeplant, denn sie wollten die Landstraßen durchs Hinterland nehmen, anstatt auf dem Highway von Rastplatz zu Rastplatz zu fahren, vom Seven-Eleven eines Ortes zum Seven-Eleven des nächsten. Die USA sind hässlich, wenn man nicht zu reisen versteht. Wenn man den Highway nimmt und einer im Auto an der Tankstelle eines Ortes einschläft und dreihundert Meilen später an der Tankstelle eines anderen Ortes wieder aufwacht, ist es, als hätte er sich überhaupt nicht fortbewegt. Genauso geht es einem, wenn man von einem Holiday Inn zum anderen fährt – aber in diesem Punkt hatten die Jungen keine Wahl, wenn sie die Komplikationen, mit denen sie in kleineren Hotels zu rechnen hatten, vermeiden wollten. Allerdings haben sie es immer verstanden – das hatten sie von ihrer Mutter –, aus allem das Beste zu machen, sogar in diesen trostlosen Nestern.
    »Du, David, hier in Clearfield ist ein Pub, der hat die größten Hamburger der Welt – offizieller Weltrekord«, sagte Jacobo am Telefon. Manchmal nannten meine Söhne mich David und manchmal Dad. »Die Wände sind gespickt mit eingerahmten Zeitungsausschnitten. Die Hamburger sind so groß wie Mofaräder. Mit Tomaten und Mayonnaise. Wir haben mit zwei anderen zusammen einen bestellt, und nicht einmal zu viert haben wir ihn aufessen können.«
    Ihre Fahrt über die Landstraßen genossen sie, soweit es ging. Sie legten Led Zeppelin und AC/DC auf, inmitten der Pracht des anhebenden Sommers, zwischen Maisfeldern und weidenden Kühen. Venus hatte Pablo beigebracht, wie er seinen Bruder massieren sollte, das Einzige, was Jacobo nach so vielen Jahren der Behandlungen und Heilungsversuche etwas Linderung verschaffte. Wenn seine Schmerzen unerträglich wurden, suchten sie sich eine Stelle zum Parken, Pablo trug Jacobo zum hinteren Teil des Kombis, wo sie eine Trage installiert hatten, und massierte ihn vierzig Minuten oder eine Stunde lang, bis er für eine Weile Schlaf fand. Dann fuhren sie weiter.
    Venus war Physiotherapeutin, und dadurch hatten sie sich kennengelernt. Sie stammte aus Santo Domingo, lebte aber seit ihrer Kindheit in New York. Zu Beginn kam sie alle zwei Wochen, und als wir merkten, dass Jacobos
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