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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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Auge zu betrachten, dem Tirilieren der Blautangaren zu lauschen und die Musik zu hören, die Ángela mir, sobald sie es gelernt hat, am Computer auflegen wird. Ich denke oft an Jacobo, an Sara, an die beiden Söhne, die ich noch habe und die jedes Jahr ein paar Tage zu Besuch kommen, an Venus, die zusammen mit ihnen kommt und die mich sehr an Sara erinnert, als sie in ihrem Alter war, und dann wird mir warm ums Herz. Venus hat zwei zehn Jahre alte, hochaufgeschossene schwarze Jungen, Zwillinge, die ungewöhnlich sanft und rücksichtsvoll sind.
    Ich könnte auch ein Diktiergerät benutzen und dann abhören, was ich diktiert habe, aber ich bin allmählich müde geworden, mit Wörtern umzugehen. Jetzt werde ich hier ein paar Zeilen einsetzen, die ich vor anderthalb Jahren geschrieben habe, als ich mit Ángela von einem Spaziergang auf dem alten Weg hinter ihrem Haus, der aus der Kolonialzeit stammt, zurückgekehrt bin. Darin beschreibe ich, was ich unterwegs sah, vom Moment des Aufbruchs an, bis wir das Flussbett des Río Apulo erreichten, dessen Wasser zwischen großen Felsen heruntertosen. Eigentlich waren es Notizen für ein Bild, das ich einmal malen wollte (wozu ich wegen meiner Augen nicht mehr kam), aber es ist eine Art Gedicht daraus geworden, was ja fast wie ein Gemälde ist:
    … Auf der linken Seite ein Haus, in dem sie Papageien haben.
    Überall hörst du den Fluss.
    Du kommst an den Steinweg und gehst bergan.
    An den Einfriedungen wachsen Farne;
    dahinter siehst du Kaffeebüsche
    und da und dort große Steine,
    von Pitayas überwachsen.
    Der breite Weg ist zu Ende,
    jetzt kommt ein schmaler Weg;
    rechter Hand Weiden,
    auch voller Felsbrocken, und
    linker Hand, an den steilen Hängen,
    Kaffeebüsche, einige, die verwildert aussehen,
    wie Gestrüpp.
    Das Rauschen des Flusses wird immer stärker.
    Der Weg führt jetzt abwärts, zu einer Holzbrücke,
    die über dem reißenden Wasser das Grün der Ufer verbindet.
    Du bist am Grund angelangt. Das Wasser prallt auf jeden einzelnen Stein,
    und beide, Wasser und Stein, fließen gemeinsam und bilden die Form,
    die keinen Namen hat,
    denn an diesem Punkt hören die Worte auf.
    Am Abend saß ich ziemlich lange auf meinem Stuhl auf der Veranda. Ich holte die Flasche Rum, die ich immer in der Küche habe, und trank ein paar Gläschen, nicht zu viele, und außerdem langsam, während ich spürte, wie die Dunkelheit in mich eindrang, die Dunkelheit mit unsichtbaren Sternen. Das Alter macht mich nicht traurig, im Gegenteil – obwohl ich wehmütig werde, wenn ich an Jacobo denke und an Sara. »Wenn ich hungrig bin, esse ich, und trinke, wenn ich Durst habe«, sagen die Taoisten. Und ich würde sagen: »Wenn ich hungrig bin, esse ich, ich trinke, wenn ich Durst habe, und wenn die Traurigkeit mich ankommt, werde ich wehmütig.«
    Ich habe eigentlich ein gutes Leben gehabt. Ich habe die Kehrseite des Schmerzes kennengelernt, sein anderes Ufer, und mit Pinsel und Farbe bin ich manchmal bis an den Rand der Endlichkeit vorgedrungen. Was will ein Mensch mehr? Gut möglich, dass ich noch viele Jahre vor mir habe und so alt werde wie Antonia Latorre Estrada oder Ellen Louise Wallace, aber das werde ich dann ohne viel Worte tun, und es ist möglich, dass ich auf diese Weise noch in andere Gefilde gerate.
    Doch immer wird mir das große Licht bleiben, das Licht, das keine Grenzen und keine Formen hat.
    Brandneue Nachrichten: Wie ich gerade erfahre, hat Ángelas Mann seine Geliebte fast totgeprügelt. Ángelas Sohn sagt, er habe so fest zugeschlagen, dass ihre Zahnspange herausgesprungen sei. Aha, ich wusste gar nicht, dass sie eine Zahnspange trug. Jetzt sitzt er natürlich im Knast und wird wegen versuchten Totschlags angeklagt; die Brüder der jungen Frau haben schon gedroht, ihn umzubringen. Aber keiner glaubt, dass sie ihre Drohung wahr machen, denn sie sind als Maulhelden und Taugenichtse bekannt. Jetzt muss ich einen neuen Gärtner finden, zumindest als Überbrückung, bis wir einen Anwalt haben, der Ángelas Mann wieder rausholt. Wenn er nicht doch noch umgebracht wird.
    Ich bat Ángela, den Schluss dieser Seiten zu schreiben. Zuerst wollte sie nicht, wegen ihrer Rechtschreibung. Dann fiel mir ein, was sie bei unserem Gespräch über Handtuch und Hantuch gesagt hatte.
    »Keine Sorge, die Milch ist die gleiche, egal ob sie von der Kuh mit h oder ohne h kommt«, sagte ich. »Außerdem werde ich dir nur ein einziges Wort diktieren.«
    Ein Wort, das, wie ›Liebe‹ und viele
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