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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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Beruf, den er so liebte, nicht mehr ausüben kann und sich mit dem Schreiben begnügen muss. Wer weiß, wie lange ich zu diesem Gekritzel noch fähig sein werde.
    Ángela kam mit dem Kaffee, und als sie ihn auf den Tisch stellte, klingelte das Festnetztelefon. Wenn das klingelt, steht immer ein Problem ins Haus, sagte ich und bat Ángela, sich am Apparat in der Küche zu melden. Sie kam zurück. Es war, was ich befürchtet hatte.
    »Wenn der Journalist alt ist, sag ihm, dass ich Alzheimer habe und heute nicht gut drauf bin. Er soll ein andermal anrufen.«
    »Aber Sie haben doch gar nicht Alzheimer, Don David!«
    »Ángela …!«
    »Schon gut, schon gut. Es ist eine Frau. Eine junge, glaube ich.«
    »Wirklich eine Frau?«, fragte ich, und Ángela lächelte, ihr Gesicht strahlte, wie ich es gewollt hatte.
    Sie war jung, hieß Flora oder Fleur und sprach mit französischem Akzent. Man wolle einen Dokumentarfilm über drei lateinamerikanische Maler drehen, und ich sei einer von ihnen. »Der wichtigste«, sagte sie, und das störte mich, denn dieser Drang der Leute, Rangordnungen aufzustellen, verdirbt die Künstler nur. »Die beiden anderen wären dann zweitklassig?«, fragte ich, um sie etwas durcheinanderzubringen. Und sie kam durcheinander, nannte mir die Namen der anderen – auch zwei Prostatusse – und lachte etwas verlegen. »Ist der Film für Frankreich?«, fragte ich, nur um etwas zu sagen, denn ich habe keine Vorliebe für bestimmte Länder oder Erdteile. Ja, sagte sie, Paris. »Und warum haben Sie sich nicht einen Maler aus Japan ausgesucht und einen aus Marokko und den dritten aus Holland?«, fragte ich. Sie hatte sich wieder gefangen und sagte, das sei eine großartige Idee, für die sie sich einsetzen wolle, sobald das laufende Projekt abgeschlossen sei. Ich sagte, sie solle kommen und dann würden wir weitersehen.

siebenundzwanzig
    Zwei junge Männer wie Pablo, gesund und voller Tattoos, gingen mit einem zahmen Pitbull Terrier an der Leine am Kubus vorbei. Eine Welt ohne Schmerz, dachte ich, wäre so unvollständig, unharmonisch und hässlich wie eine Skulptur oder ein Baum ohne Schatten. Und hier saß ich, an meinem Schmerz erstickend, am Fuß des Kubus auf dem Astor Place, und trank im Licht der Straßenlaterne vor einem halben Hundert Schallplatten Bier mit einem, der sich Anthony nannte.
    Doch es ist leichter, den Schmerz zu akzeptieren, wenn es nicht der eigene ist. Bei Jacobo aber war sein Schmerz auch meiner. Während ich mit Anthony sprach und gleichzeitig Qualen litt, konnte ich zum ersten Mal nachvollziehen, was es für Jacobo bedeutete, wenn wir zu Hause Besuch hatten und er sich anstrengen musste, freundlich zu sein, während ihn die Schmerzen in den Beinen und im Bauch marterten. Dann sprach er wenig, denn die Schmerzen ließen es nicht zu; und wenn er lächelte, konnte man sehen, wie er sich zwang und wie ihm vor Schmerz Tränen in die Augen traten.
    Mein ältester Sohn.
    Während die Flammen mir in den Augenhöhlen und im Gehirn brannten, erzählte Anthony von seinem Handel mit den Schallplatten, von denen einige wirkliche Preziosen waren. Das Fahrrad sei das Einzige, was er für seine Arbeit brauche. Und der Korb. Kaum zu glauben, dass er auf der Jagd nach Platten in alle Welt reiste. Er hatte Kunden am Madison Square, in der Fifth Avenue, in der Park Avenue. Er sei auch in Bogotá gewesen, sagte er. Und in Bombay. In Havanna. Die beste Stadt sei São Paulo, eine wahre Fundgrube für gutes Material. Mit anderen Worten, sagte ich, von meinem Kummer abgelenkt, seine Arbeitsgeräte seien das Fahrrad, der Korb und das Flugzeug. Er lachte selbstgefällig, ja fast selbstverliebt, und bat mich um einen Schluck Bier. Er trank es aus und ging noch zwei Flaschen kaufen.
    »Something wrong, right?«, fragte er mich nach einer Weile.
    Und dann erklärte ein Mann mit einem starken Medellín-Akzent einem Mann mit einem starken russischen Akzent, also ein echter New Yorker einem anderen echten New Yorker, ganz nüchtern, was mit seinem ältesten, achtundzwanzig Jahre alten Sohn geschehen war, was jetzt gerade geschah und was voraussichtlich in den nächsten Stunden geschehen würde. Anthony machte keine Anstalten, mich zu umarmen oder mir tröstend auf die Schulter zu klopfen, nichts dergleichen. »Oh, man!« war das Einzige, was er sagte. New York ist eine Stadt zurückhaltender Menschen. Sie haben ein großes Herz, die Einwohner, aber sie sind weder weinerlich noch mögen sie lächerliche
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