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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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Zeit. Ich kannte Miami und die Florida Keys schon von einer früheren Reise her und wollte diese Orte jetzt als Maler erkunden. Man kann sagen, dass es die Suche nach dem Wasser und dem Licht war, die mich nach Miami zog. Sara und ich haben das Meer während dieser drei Jahre sehr genossen, obwohl wir unter der geistigen Enge litten, von der die Stadt damals geprägt war. Am Ende entschlossen wir uns, mit unseren drei Kindern nach New York zu ziehen.
    In Miami malte ich eine Reihe von Landschaftsbildern in Öl, Studien des Lichts und des Wassers, insgesamt fünfzehn 2 x 2-Meter-Gemälde, die ich auf einer Ausstellung in Key West schnell und recht gut verkaufen konnte. Einige Gemälde waren abstrakte Darstellungen der Meerlandschaften, die man von der Straße aus, die die Keys verbindet, sehen kann. Andere zeigten das Meer von Miami: an den Stränden El Farito und Crandon Park und in downtown Miami. Bald nach unserer Ankunft kauften Sara und die Kinder einen kleinen, ziemlich abgetakelten Katamaran, mit dem sie an den Wochenenden am Strand entlangsegelten, im seichten Wasser, aber mit einem Vergnügen, als ginge es über den Ozean.
    In Miami feierte ich meinen dreiundvierzigsten Geburtstag.
    Später hörten wir von den wenigen guten Freunden, die wir dort hatten, dass sich die Stadt sehr verändert habe, sie sei jetzt weniger provinziell, es gäbe keine rednecks mehr und durch den Zuzug von Einwanderern hätte sich das ganze Milieu verbessert; sogar die neue Generation der Kubaner sei etwas weniger engstirnig und erdrückend. Selbst wenn das stimmte, wären weder Sara noch ich nach Miami zurückgekehrt. Auch die Kinder hätten nicht mehr zurückgewollt. Nach zwei Jahren in New York waren sie schon keine Kinder mehr: Jacobo war 18 und plante ein Medizinstudium an der NYU. Pablo war 16 und ging auf ein alternatives Gymnasium in der 23rd Street 8th Avenue, in dem viele Jungen Ringe in Nase und Ohren trugen. Arturo war 14 und hatte sich für die La Salle-Schule in der 2nd Street 2nd Avenue entschieden, einzig und allein deshalb, weil sie nur ein paar Schritte von unserer Wohnung – unserer zweiten Wohnung – entfernt war und er morgens länger schlafen konnte. Spät ins Bett gehen, spät aufstehen, ständig Gitarre spielen und zeichnen, das war das, was er damals am liebsten tat. Nun gut. In Miami hatten wir also drei gute Jahre, damit war es aber auch genug. Immerhin war ich produktiv gewesen. Sogar dass es in dieser Stadt keine Kultur gab, hatte sein Gutes, da ich mich so ganz in der Kapsel einschließen konnte, die meine Arbeit ist oder, besser gesagt, die meine Arbeit war, denn vor etwa anderthalb Jahren, nach meinem sechsundsiebzigsten Geburtstag, begann mein Augenlicht so sehr nachzulassen, dass ich mit dem Malen aufhören musste und – mit Hilfe einer Lupe – zu schreiben anfing.
    In New York hatten wir zuerst eine sehr kleine Wohnung in der 101 West Street, einen Block vom Central Park entfernt. Die Nähe zum Park war das einzig Gute an diesem Viertel, das an ein Latino-Ghetto grenzte, mit viel Krach in der Nacht, Flaschen, die auf dem Asphalt zerbarsten, lautes Schimpfen und Fluchen auf Englisch und Spanisch, eine gärende Menschlichkeit, die mich nicht schlafen ließ, zumal ich an Miami gewöhnt war, eine Stadt, die um lauter Golfplätze herum gebaut war. An Malen war überhaupt nicht zu denken. Die ersten Monate in New York waren schlimm, weniger für Sara und die Kinder als für mich, der ich so viel Licht und Platz und Ruhe brauchte und ähnliche Arbeitsbedingungen, die man sich in diesem Alter als unverzichtbar einredet, um sich das Leben zu erschweren.
    Aber in Miami wollte ich ebenso wenig sein wie in der 101 West Street, auch in Bogotá nicht und nicht in Medellín. Nirgendwo wollte ich sein. Ich verließ die Wohnung am frühen Morgen, um stundenlang im Park herumzulaufen und mir zu befehlen, mich zusammenzureißen und an die Arbeit zu gehen und Sara und den Kindern mit einem fröhlicheren Gesicht gegenüberzutreten, da sie gern in New York waren und unter meiner Niedergeschlagenheit litten. Sara, die in einem Krankenhaus eine Stelle als Betreuerin HIV-infizierter Patientinnen gefunden hatte (in Kolumbien hatte sie Soziologie studiert), erkannte, dass der Grund meiner Depression das Viertel war, in dem wir wohnten, vielleicht wegen seiner Nähe zum Ghetto. Dazu kam die Enge unserer Wohnung. Im Wohnzimmer gab es so wenig Platz, dass der Fuß der Staffelei fast Arturos Schulter berührte,
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