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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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wenn er sich mit seinem unvermeidlichen Nintendo auf dem Boden herumlümmelte. Und wenn alle drei Jungen da waren, barst die Wohnung vor Krach, der mich, potenziert mit dem Lärm der Straße, von der Staffelei forttrieb, hinaus in den Park, wo ich mir immerhin in Ruhe die Bäume anschauen konnte.
    Ich mochte die Bäume im Central Park, obwohl sie in mir eine wehmütige Erinnerung an die in meiner Heimat wachriefen, eine Erinnerung an den Urwald von Urabá, wo einer meiner Brüder ein Landgut gehabt hatte, auf dem er den Tod fand. Die Bäume im Central Park waren auch schön, die uralten Ulmen und Eichen zum Beispiel, aber sie kamen mir fast wie Spielzeug vor im Vergleich zu der ungestutzten Üppigkeit der Ceibas und der Caracolíes in Urabá. Wenn ich nicht im Park war, fuhr ich – eine Stunde mit dem Subway – nach Coney Island, das ich bald nach unserer Ankunft entdeckt hatte und das mich wie jeden faszinierte. (Es gibt sogar ein Foto von Sigmund Freud, wie er, offenbar auch begeistert, auf dem Riegelmann Boardwalk steht.) Später, nach unserem Wohnungswechsel, begann ich mit meinen New Yorker Meerlandschaften, darunter auch die Bilder vom Meer bei Brighton Beach und Coney Island.
    Eines Abends kam Sara von der Arbeit und sagte:
    »Ich habe eine neue Wohnung gefunden. Unten bei der Houston Street, 2nd Street 2nd Avenue. Sie ist groß, verwahrlost und teuer. Die Fenster schauen auf einen wunderschönen Friedhof, Marble Cemetery.«
    Ich fragte sie, ob die Wohnung denn hell sei, und sie sagte ja, und so gingen wir mit den Jungen hin, um sie uns anzuschauen. Gemessen an ihrer Größe kam sie mir nicht teuer vor, aber heruntergekommen war sie wirklich, genauer gesagt, verwohnt und dreckig. Doch das wäre mit einer gründlichen Reinigung, ein paar Kübeln Farbe und einer Flitspritze gegen die Kakerlaken zu ändern. Große Fenster, ausgezeichnetes Licht. Ein sehr geräumiges Wohnzimmer, in dem alles Platz hätte, die Jungen mit ihren elektronischen Anhängseln, ein Sofa, zwei Sessel und meine Staffelei.
    Und das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Bloß mit den Kakerlaken wurden wir nicht fertig. Wir rückten ihnen mit Gift zu Leibe, und einige verendeten auch, aber die meisten lebten weiter, mit uns zusammen. Sie waren da, immer wenn man nachts das Licht anmachte, klein, zahlreich, schnell, in dunklen Spalten verschwindend. Wir achteten sehr auf Sauberkeit, und ich sprühte in regelmäßigen Abständen von neuem Gift, legte Boraxpulver aus, zerquetschte sie mit dem Schuh, aber ohne Erfolg: Wenn ich das Licht anmachte, waren sie alle da. Aus den alten Wohnungen kann man die Kakerlaken nicht vertreiben, sie sind unausrottbar wie das Leben. Um sie loszuwerden, müsste man das Gebäude abreißen und den Schutt mit Benzin oder Napalm übergießen und anzünden … Ich mag Pflanzen und habe einen grünen Daumen, also besorgte ich Farne und Zimmerpalmen, und schon bald sah es in unserer Wohnung wie in einem kleinen Urwald aus. In einem Zoogeschäft in der Bleecker Street kauften wir für 200 Dollar einen Papagei, den die Kinder Sparky tauften. Er wurde nie zahm, kreischte wie verrückt und flatterte in der ganzen Wohnung umher. Ein paar Jahre später bekamen wir Cristóbal, den Kater, der den Papagei eines Tages so erschreckte, dass er aus dem Fenster hinaus zum Friedhof flog. Dort saß er eine Woche lang kreischend in den Bäumen und war nicht zur Rückkehr zu bewegen, obwohl wir ihn immer wieder von den Fenstern aus riefen. Dann verschwand er.
    »Er ist nach Südamerika abgehauen«, sagte ich zu den Jungen, um sie aufzumuntern, »Chontaduros essen im Chocó.«
    »Chontawho?«, fragte Arturo, der die Pfirsichpalme nicht kannte und keine Gelegenheit ausließ, sich über einen lustig zu machen, selbst damals, als die Stimmung bei uns wegen Sparky gedrückt war.
    In der neuen Wohnung kehrten meine Lebensgeister zurück. Ich begann, an der Küste von Brooklyn und New Jersey entlangzuwandern und sie zu fotografieren und zu malen. Ich malte ein Motorrad, das an einem Strand halb aus dem Sand ragte, über und über mit Algen bedeckt. Ich sehe gern, wie das, was der Mensch aufgegeben hat, zerfällt und allmählich menschenfremd und wieder schön wird. Ich liebe diese fließenden Übergänge. Dieses Mangrovenhafte. Ich malte eine Serie von acht Bildern, deren Motiv immer dasselbe war: die Pfeilschwanzkrebse oder horseshoe crabs , die an die Strände von Coney Island kommen, dort im Sand sterben und neben Gummisandalen und
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