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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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ein Affe oder ein Geisteskranker bei einem Begräbnis fehl am Platz sein würden.
    Allerdings kam damit auch das Geld, das wir dringend brauchten.
    Die starken Schmerzen begannen drei Jahre nachdem Jacobo aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Die Ärzte hatten es angekündigt: Das Schlimmste sei nicht, dass er nie wieder würde gehen können, das Schlimmste sei der physische Schmerz, der sich aller Voraussicht nach eines Tages melden würde. Diese Schmerzen wurden bald chronisch und waren an manchen Tagen so stark, dass wir Jacobos Zimmer nur auf Zehenspitzen betreten durften und mit gedämpfter Stimme sprechen mussten, weil schon das geringste Geräusch ihn so empfindlich traf, dass er zu wimmern und zu zittern begann.
    Die ersten drei Jahre nach dem Unfall hatte Jacobo nur den Wunsch, wieder gehen zu können, und setzte alles daran, dieses Ziel zu erreichen. Als die Schmerzen chronisch und immer unerträglicher wurden, gab er die Hoffnung auf und wollte nur noch sterben. »Am liebsten im Schlaf«, sagte er einmal zu Sara, »oder sonst auf andere Art.«

fünf
    Auch wenn ich gewollt hätte, mit dem Malen hätte ich schon deshalb nicht aufhören können, weil unsere Ausgaben trotz der Krankenversicherung enorm waren. Die Wohnung musste so umgestaltet werden, dass sich Jacobo darin bewegen konnte, und viele der erforderlichen Hilfsmittel wie die Hebevorrichtungen waren kostspielig. Dann kamen die Schmerzen. Wenn ein Mensch so starken Schmerzen ausgesetzt ist, dann ist der einzige Gedanke, sie zu stoppen oder wenigstens zu lindern. Und selbst der Versuch, auch wenn nichts dabei herauskam oder nur wenig, kostete viel Geld.
    Die Akupunkturbehandlungen, zum Beispiel, haben nichts gebracht und waren nur teuer. Je asiatischer die Spezialisten, desto teurer die Behandlungen, und die Versicherung zahlte nichts. Ich erinnere mich, dass wir einem aus der Mott Street in Chinatown ein Jahr lang für eine Sitzung pro Woche dreihundert Dollar gezahlt haben. Insgesamt hat dieser Dr. Shu (›Dr. Schmu‹, wie Jacobo, der mehr und mehr verbitterte, ihn am Ende nannte) also etwa fünfzehntausend Dollar eingesteckt, bis der Junge schließlich selbst sagte, wir sollten aufhören, ihm unser Geld weiter in den Rachen zu schmeißen. Dazu kamen die Kosten für die sogenannten ›Medikamente‹ des Dr. Schmu: bittere schwarze Pillen, fast so groß wie kolumbianische Bohnen, die Jacobo ganz langsam zerkauen musste, um ihre Wirkung zur Entfaltung zu bringen und die der Nadeln zu ergänzen, mit denen sein Kopf und andere Körperteile gespickt waren, so dass er aussah wie der Nazarener mit Dornenkrone oder wie ein Stachelschwein.
    In der ersten Phase hatten wir in der Wohnung allerlei Vorrichtungen installiert, nicht nur solche, die Jacobo zu etwas körperlicher Selbständigkeit in den Dingen des täglichen Lebens verhelfen sollten, sondern wir machten aus einem der Zimmer ein regelrechtes Fitnessstudio, in dem der Junge trotz der eindeutigen Prognose der Ärzte bis zur Erschöpfung trainierte, in der Hoffnung, mit der Kraft des Willens wieder auf die Beine zu kommen. Es war eine Illusion, die wir in bestimmten Momenten alle mit ihm teilten. Wenn wir ihn stundenlang an diesen Balken und Ringen kämpfen und leiden sahen – wie ein gebrochener Affe –, bildeten wir uns ein, Anzeichen einer Besserung zu erkennen, und er selbst sagte, er finge an, seine Fußzehen zu spüren. Aber es war alles nichts.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt – was für eine grausame Redensart!
    Pablo machte Jacobos Übungen mit und wurde ein Muskelpaket. Es ging ihm aber nicht um eine athletische Figur, sondern er wollte stark genug sein, um seinen Bruder möglichst sacht von der Dusche in sein Zimmer tragen oder in den Rollstuhl setzen zu können. Später überkam ihn, Pablo, der Tätowierungsspleen, und das Ergebnis war ein großer, wohlgestalteter Bursche, auf dessen muskulösen Armen und Schultern Käfer und üppige Orchideen prangten und dessen Wesen weich wie Wasser war und dabei fest wie Granit. Auch Jacobo bekam von all dem Training muskulöse Arme und einen breiten, starken Rücken, im Gegensatz zu seinen Beinen, die immer trauriger und schlaffer aussahen. Ganz anders Arturo, der außer Ping-Pong in der Schule keinen Sport trieb und deshalb immer lang und schmal blieb. So wie ich.
    In ihrem Wesen und Äußeren waren Jacobo und Pablo ihrer Mutter ähnlicher als mir, obwohl jeder etwas von uns beiden hatte. Aber keiner meiner drei Söhne litt unter den immer
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