Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
Vom Netzwerk:
ihr, dass das, was sie vorhatten, das Beste für Jacobo sei, weil er es nicht mehr aushalten könne; dass es ein Verbrechen wäre, ihn weiter so leiden zu lassen, und dass sie es nicht als Ende ansehen solle, sondern als Tor zu seiner Befreiung, seiner Erlösung. Was hätten sie auch sonst sagen sollen.
    Sara war eine starke Frau. Als wir nach New York zogen, konnten wir kaum Englisch, denn in Miami kam man auch ohne aus. Aber in weniger als zwei Wochen schaffte sie es, einen Termin für ein Vorstellungsgespräch bei einer Firma für medizinische Dienstleistungen zu bekommen, die im Auftrag des Gesundheitsamts in den Krankenhäusern HIV-infizierte Frauen beriet. Das Interview fand auf Englisch in einem Büro des Bellevue Hospital statt. Die Ärztin, die mit Sara sprach, wurde später ihre Freundin und gestand dann, praktisch nichts von dem, was Sara sagte, verstanden zu haben; sie habe sie aber trotzdem eingestellt, weil sie ein freundliches Wesen und ein offenes Lächeln hatte und weil viele der Patientinnen Latinas waren, vor allem aber, weil Sara den Mut gehabt habe, sich zu einem Vorstellungsgespräch zu melden, ohne Englisch zu können. Leute, die vor nichts Angst haben, seien genau das, was man in dieser Zeit brauche, um gegen die schlimmste Geißel der Menschheit seit dem Mittelalter anzugehen. Sara war eine absolut eigenständige und gefestigte Persönlichkeit. Ihre Stärke zog sie nicht daraus, dass sie bewundert und mit Beifall überschüttet worden wäre; sie war vielmehr von Natur aus stark und weil sie – selbst in der Zeit der Violencia – eine glückliche Kindheit gehabt hatte und immer von Liebe und Zuneigung getragen war, die sie später an die weitergeben konnte, die sie liebte. Aber eigentlich will ich keinen Nachruf schreiben …
    Also zurück nach La Mesa, dessen schöner, vollständiger Name La Mesa de Juan Díaz ist. Hier kümmerte sich Sara, angetan mit Handschuhen, hohen Gummistiefeln und Panamahut, um die Bäume und den Garten um das Haus herum, während ich für die Pflanzen im Innenhof und in der Galerie zuständig war. Die Inneneinrichtung des Hauses war eine Kombination von Möbeln, Pflanzen und Kunstwerken: Zu den Stücken, die wir aus New York mitgebracht hatten, hatte ich in Antiquitätenläden in Bogotá Möbel und Lampen dazugekauft; das zweite Element waren die Pflanzen: Azaleen, Farne, Helikonien, Bromelien, Begonien und an den Wänden, die genügend Licht haben, auch Kletterpflanzen; und schließlich Bilder und Skulpturen, die mir Freunde geschenkt hatten, und ein paar eigene Werke, von denen ich mich nie hatte trennen wollen. Dabei habe ich sehr auf das Gleichgewicht zwischen den Gegenständen geachtet und höre nicht auf, mich zu wundern, wie die Dinge zum Leben erwachen, wenn man dem Licht eines Raums Beachtung schenkt. Ins richtige Licht gerückt, erscheinen die sogenannten toten Gegenstände ebenso lebendig wie Pflanzen, wie man selbst.
    Ich wollte gerade Jacobos und Pablos Nummer wählen, als das andere Telefon klingelte. Sara antwortete. Es war ein belgischer Kunstkritiker, der ein Buch über mein Leben und Werk schreiben wollte und anfragte, ob er am nächsten Tag vorbeikommen könne, um mich zu interviewen und dann vielleicht noch zwei Tage mit mir zu arbeiten. Sara überlegte nicht lange und sagte, ich sei in Kolumbien und käme erst in einem Monat zurück. Und ohne mich zu fragen, legte sie den Besuch des Belgiers für den zweiten Samstag des nächsten Monats, um drei Uhr nachmittags, fest, während ich, der ich vor ein paar Tagen alle beruflichen Termine abgesagt hatte und gerade jetzt nichts Derartiges verkraften konnte, ihr heftige Zeichen machte, dass ich nicht zu sprechen sei und keinen Besuch aus Belgien an keinem zweiten Samstag keines kommenden Monats haben wollte.
    »Das wird uns ablenken und auf andere Gedanken bringen – und das werden wir bitter nötig haben«, sagte sie, als sie aufgelegt hatte, und ich brachte es nicht mehr fertig, sie daran zu erinnern, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn jemand anders für mich eine Entscheidung trifft. »Außerdem hatte er eine sympathische Stimme«, fügte Sara hinzu.

acht
    Ich löffelte Cristóbal etwas Katzenfutter in den Napf, er war mir schon eine Weile um die Beine gestrichen. Er war weiß und hatte auf dem Rücken zwei schwarze Flecken, außerdem ein schwarzes Ohr; er hatte gelbe Augen und war sehr groß und weich, wie mit Baumwolle ausgestopft. Ein glücklicher Kater. Als er zu uns kam, war er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher