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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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Schmerzen wenigstens für acht Stunden deutlich nachließen und er dadurch Ruhe finden und tief schlafen konnte, kam sie jeden Freitag. Die Therapie war außerordentlich kostspielig, 800 Dollar für eine zweistündige Behandlung (wovon die Versicherung nur 350 übernahm), aber ohne Zweifel lohnte es sich. Mit den Jahren begann die Wirkung allerdings nachzulassen, und dann ging es weniger darum, ihm die Schmerzen für eine Weile wegzumassieren, als die unerträglichen Schmerzen etwas weniger unerträglich zu machen. Auch die Dauer der Linderung wurde mit der Zeit immer kürzer.
    »Bei deinen Preisen, deinem Namen und deiner Figur«, sagte Jacobo, als sie noch kein Liebespaar waren, »könnte man denken, dass deine Kunden etwas anderes von dir erwarten.«
    Sie hatte wirklich eine bildschöne Figur, und wenn ein anderer so etwas zu ihr gesagt hätte, wäre sie bestimmt empört gewesen. Aber Jacobo war einer, dem die Frauen nicht böse sein konnten.
    Sie fing bei den Füßen an. Ich habe viele Kohlezeichnungen von den beiden gemacht, in denen ich versuchte, die Intimität zwischen zwei Menschen festzuhalten, die gemeinsam dem Schrecken des Schmerzes ausgeliefert sind. Sie müssten noch dort in den Mappen sein, die Kohlezeichnungen, irgendwo in der großen Unordnung meines Ateliers. Das war allerdings bevor sie begannen, die Tür zu Jacobos Zimmer zu schließen, also als sie sich noch nicht nähergekommen waren und ich noch eintreten konnte, um Venus bei der Arbeit zuzuschauen. Sie fing mit den Fußrücken an, wie ich schon sagte, und ging weiter zu den Knöcheln und den Waden, wo die Durchblutung der Muskeln angeregt wurde, die sich reflexartig bewegten und dann entspannten. Jacobo konnte nicht sehen, was sie an seinen Beinen machte, denn man hatte ihm einen Titanstift in die Wirbelsäule eingesetzt, um den oberen und den unteren Teil zusammenzuhalten, und dadurch konnte er sich nicht mehr zur Seite drehen. Er merkte erst, dass Venus bereits oberhalb des Titanstifts angekommen war, wenn sie ihn ein wenig aufrichtete und in den Bereich kam, in dem er wieder etwas spürte.
    Venus war etwas dunkler als Sara, und sie sahen sich ähnlich. Auf der Straße wurden sie oft gefragt, ob sie Mutter und Tochter seien. Als im Metropolitan Museum einmal Bilder ausgestellt wurden, die man in Ägypten in Sarkophagen der römischen Kolonialzeit gefunden hatte, glaubte ich die beiden auf den Bildern wiederzuerkennen, mit ihrem vollen, schwarzen, gekräuselten Haar und ihren großen, schwarzen, leicht mandelförmigen Augen. Ich malte ein Porträt der beiden, als Mutter und Tochter, im Stil jener Bilder, die auf Holz gemalt waren. Später schenkte ich es Venus, die es zuerst nicht annehmen wollte und vor Freude beinahe zu weinen anfing.
    Manchmal vergesse ich fast, dass sie nicht meine Tochter ist.

sieben
    »Hast du sie angerufen?«, fragte Sara.
    Ich schreckte zusammen, weil ich nicht gehört hatte, wie sie hereingekommen war. Ich schämte mich, dass sie mich in meine Arbeit versunken fand, als wäre bei uns alles wie immer. Aber auch sie betrachtete das Bild eine Weile. Sie hatte geweint, ihre Augen waren rot und geschwollen. Mein Adamsapfel wurde steinhart, und ich konnte kaum atmen, so stark war der Druck in meiner Brust. Unser Leiden war wie eine dunkle Wolke, die nicht aufhörte zu wachsen und schon den Himmel und die Erde ausgefüllt hatte.
    »Du hast es noch nicht ganz«, sagte Sara und meinte damit das Bild.
    »Nein«, sagte ich. »In Portland ist es erst kurz nach vier.«
    Den zweiten Halt auf ihrer Fahrt nach Chicago machten sie in Sandusky, Ohio, am Eriesee, der Welthauptstadt der Achterbahnen. Im Vergnügungspark von Sandusky gäbe es siebzehn Achterbahnen, sagte Pablo, und abgesehen davon oder genau deshalb sei es ein scheußlicher Ort und als Welthauptstadt sei ihm die der Hamburger tausendmal lieber. Ich glaube, dass auch ihn das Näherrücken dessen, was bevorstand, zu überwältigen begann und dass es ihn große Mühe kostete, so zu tun, als sei er guter Dinge. Ich merkte, dass er nicht sprechen wollte, und gab das Handy an Sara weiter. Und ich weiß nicht, was Pablo ihr alles sagte, denn sie redete fast gar nicht, sagte nur »ja, ja, ja natürlich« und hörte ihm weiter zu. »Gib mir mal kurz Jacobo«, sagte Sara, und dann hörte sie ihm zu und sagte wieder nur »ja, ja, ja klar«. Und nach einer Weile übernahm Pablo wieder das Telefon, und so ging es weiter. Ich weiß es oder kann es mir zumindest denken: Sie sagten
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