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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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wenige Wochen alt. Er lebte vierzehn Jahre lang, und die einzigen Schmerzen seines Lebens waren die, als er nach seiner Kastrierung aus der Narkose erwachte, als ich ihm einmal auf die Pfote trat, und die – in diesem Fall unvermeidlichen – Schmerzen, als er starb. Es ist merkwürdig, aber ich habe immer noch das Gefühl, dass er da ist, sogar hier in La Mesa. Mir wurde vom Geruch der Fisch- und Mehlpampe, die als Katzenfutter verkauft wird, immer übel, und Cristóbal tat mir leid, weil er so etwas fressen musste. Ich kam von der Küche zurück, und wir riefen in Portland an.
    Das Gespräch war schwierig. Ich fragte Jacobo, wie spät es bei ihnen sei, er sagte zwanzig nach acht, und dann schwieg er. »Und wie ist das Hotel?«, fragte ich, und er sagte, es sei in Ordnung. Wie alle eben. Ich fragte ihn, wie es ihm ginge, und er sagte, es ginge ihm gut, und dann schwieg er wieder. Ich fragte nach seinen Schmerzen, und er sagte, dass sie im Moment sehr stark seien, dass Pablo ihn aber gleich massieren würde. Langes Schweigen. Ich geb dir jetzt Pablo, sagte er, und danach möchte ich noch mit meiner Mutter sprechen, okay? Eine Umarmung, Dad, wir reden später.
    Mit Pablo war es auch nicht leichter. Ich fragte ihn, um wie viel Uhr der Arzt kommen würde, und er sagte, um sieben Uhr abends. Das wusste ich nur zu gut, aber mir war keine andere Frage eingefallen. Jedes Mal gab es weniger zu sagen oder zu fragen. Das Schweigen war dabei, das Leben unerbittlich einzuschnüren. Ich fragte ihn, ob es Schwierigkeiten bei der Rückgabe des Mietwagens gegeben habe, und er sagte nein. Ich geb dir jetzt deine Mutter, sagte ich. Mit ihr lief die Unterhaltung so flüssig und für mich so wenig zugänglich wie immer. Ich sah, wie Saras Augen von den aufkommenden Tränen zu glänzen begannen, doch ihre Stimme brach nicht ein einziges Mal. Ich beschloss, eine Weile auf die Straße zu gehen.
    Trotz der Riesenlupe, mit der ich arbeite, musste ich das Schreiben für mehr als eine Stunde unterbrechen, denn ich konnte meine Wörter nicht mehr richtig sehen. Und das obwohl die Buchstaben meiner Schrift groß sind – die Vokale sind so groß wie Andenbrombeeren. Wenn meine Augen nicht mehr mitmachen, und das geschieht immer öfter, lege ich mich hin, bitte Ángela, die Frau, die mir den Haushalt führt, mir eine feuchte Kompresse auf Augen und Stirn zu legen, und dann konzentriere ich mich auf die Laute der Vögel oder lege Musik auf. Von allen Vogelstimmen sticht die der Blautangare am meisten heraus. Die hiesige Blautangare ist nicht identisch mit dem Blauhäher oder blue jay in Nordamerika, sie ist viel kleiner, aber genauso lebhaft. Ihr Trillern ist sehr schrill, äußerst artikuliert und nicht ganz fassbar (wie die Laute einer Piccoloflöte), da es einem manchmal so vorkommt, als wäre ein Teil ihres Gesangs in einer so hohen Tonlage, dass er für das menschliche Ohr unhörbar ist. Es ist kein schöner Gesang, aber ein facettenreicher. Und da die Töne so hoch sind, nehmen wir diese Vogelstimme kaum wahr, wir hören eher den irdischeren Gesang anderer Vögel, vor allem den der Spatzen, die die geschwätzigsten Vögel auf Erden sind. Sie sind die Nervensäge unter den Singvögeln, so wie man die Tauben als die Plage der fliegenden Tierwelt bezeichnen könnte. Wenn ich Musik höre, und das tue ich oft, ist es meist Gitarrenmusik, Albéniz, Rodrigo, Tárrega, Barrios zum Beispiel, aber auch andere Musik wie die Zauberflöte oder Stücke von Grieg oder Teile von Beethovens Neunter, die mich seit meiner Jugend faszinieren. Jedenfalls erwartet mich eine Zukunft, in der ich mich sicher nur am Licht der Klänge werde erfreuen können und am Licht der Erinnerungen und am gestaltlosen Licht, denn mein Sehvermögen schwindet unaufhaltsam. Ich denke schon, dass ich noch eine Zukunft habe, denn in meiner Familie gibt es viele Methusalems, einige Verwandte sind neunzig Jahre und älter geworden.
    Ich habe keine Ahnung, ob die kalte Kompresse auf den Augen und der Stirn etwas nützt, aber etwas muss ich schließlich machen, sage ich mir, und die Kompresse verschafft mir immerhin ein wenig Erleichterung. Was ich habe, ist eine altersbedingte Makula-Degeneration. Angeblich führt sie selten zur völligen Erblindung, aber genau das ist bei mir der Fall, wie die ziemlich rasche Verschlechterung meiner Sehkraft zeigt. Eine Lupe braucht man, wenn man das Sehvermögen im zentralen Gesichtsfeld verliert. Die Makula, der Gelbe Fleck, macht etwa 5 Prozent
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