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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Autoren: Tomás González
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sie in die Arme.
    »Und man weiß nicht einmal, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, David«, sagte sie und schluchzte dreimal lautlos. »Du lieber Gott«, fügte sie erschrocken hinzu, »was ist, wenn er überhaupt nicht kommt?«

zehn
    Debrah und James kamen in die Küche, und wir umarmten uns alle vier. Eigentlich mag ich kollektive Gefühlsbekundungen nicht, aber diesmal tat mir das gut, glaube ich. Außerdem sind sie Nordamerikaner und in vielen Dingen ganz anders als wir; und sie waren unsere besten Freunde. Deshalb machte ich mit, auch wenn es mir ein bisschen unangenehm war.
    Debrah und James sind immer noch zusammen. Außer meiner Ehe mit Sara kenne ich keine andere, die so lange gehalten hat. Alle zwei Wochen rufen sie an, um Hallo zu sagen, aber seit Saras Begräbnis vor zwei Jahren sind sie nicht mehr nach La Mesa gekommen, denn im Alter macht einem die Reiserei zu schaffen, die Flughäfen, die Flugzeuge. Er ist 75 und sie 70. Bei ihrem letzten Anruf erzählten sie, sie hätten vor, gemeinsam in ein Seniorenstift zu ziehen, in ein Altersheim also. Ich war natürlich entsetzt, denn für mich war das, als würde man beschließen, sich damit abzufinden, Tag und Nacht, und Tag für Tag, den Geruch von fremdem und eigenem Urin zu atmen, bis man überhaupt nicht mehr atmete. Aber ich sagte nichts.
    Debrah war eine Arbeitskollegin von Sara im Bellevue Hospital, dadurch haben wir uns kennengelernt. James war Rechtsanwalt, ein linker, was in den USA bedeutet, dass die Mandanten, die man hat, arme Schlucker sind und man nur ein bisschen mehr verdient als sie. James hatte für uns den Kontakt zu einem befreundeten Anwalt in Portland hergestellt, der sich mit dem Thema auskannte, das uns beschäftigte, und der uns helfen sollte, falls etwas schiefginge, denn Jacobo hatte seinen Wohnsitz nicht in Oregon und deshalb kein Recht auf diese Art medizinischer Hilfe. Uns war klar, dass sowohl der Arzt als auch Pablo, ja sogar Jacobo gegen das Gesetz verstoßen würden und in große Schwierigkeiten geraten könnten. Der Anwalt hatte geraten, dass Sara und ich nicht mitfahren sollten, denn wenn wir so viele wären, könnten wir auffallen. Sara war damit natürlich nicht einverstanden, sie protestierte empört und weinte, aber schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen.
    Ich muss mich korrigieren. James verdiente nicht ein bisschen mehr, sondern noch weniger als seine Mandanten, denn wenn sie kein Geld hatten, schenkte er ihnen welches oder lieh es ihnen, ohne zu erwarten, es je wiederzubekommen. Und wenn Debrah sich nicht auf die Hinterbeine gestellt hätte, wäre am Ende auch noch ihr Geld weg gewesen. Einmal war ich bei einer Gerichtsverhandlung in Süd-Manhattan dabei, um ihn bei der Arbeit zu erleben. Bei diesem Termin verteidigte er eine drogensüchtige Latina, die sich während der Verhandlung immer mehr zur Seite neigte, bis sie, an seine Schulter gelehnt, ganz eingeschlafen war. Die Frau hatte einem Nachbarn Geld gestohlen, um sich Drogen zu beschaffen, und wäre fähig gewesen, ihre Kinder für ein Tütchen Heroin zu verkaufen. Der Richter machte James Zeichen, dass er sie nicht schlafen lassen dürfe, und so musste James sie gerade setzen, ihren Kopf heben und ihre Augenlider hochziehen, damit sie den Richter und die Geschworenen ansehen konnte. Das tat sie einen Moment lang mit halb geöffneten Augen, die aber schnell wieder zufielen, während sie ganz langsam zur Seite sank, bis sie an James’ Schulter wieder Halt fand.
    Er ist wuchtig, groß, schwarz, sehr intelligent und eine Seele von Mensch. Debrah kommt aus Ohio, hat irische Vorfahren, sehr blaue Augen. Sie ist eine kleine Frau und so lebhaft, dynamisch und schnell, wie er ruhig und bedächtig ist.
    Die Drogensüchtige und mein Freund rührten mich. Ich ziehe immer noch den Hut vor dir, James. Ich weiß nicht mehr, wie die Verhandlung ausging, ob die Frau ins Gefängnis musste oder nicht. Was sich mir aber für immer eingeprägt hat, ist das Bild des stämmigen Anwalts und früheren Football-Spielers der University of Mississippi und neben ihm die ausgezehrte heroinsüchtige junge Frau, die bestimmt einmal so schön wie Venus gewesen war und ihm da im Gerichtssaal, halb bewusstlos, langsam entgegenkippte.
    Wir gingen alle vier ins Wohnzimmer zurück, wo sich Preet mit Arturo begeistert über Profi-Basketball unterhielt. Als er uns sah, setzte er sich in seinem Sessel aufrecht, schwieg und lächelte. Wieder einmal saßen
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