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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Krystyna Kuhn
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Männer ihn nicht entdeckt hatten.
    *
    Julia konnte sich nicht rühren, obwohl sie mit ihrem Verstand erfasste, dass Debbie noch immer regungslos auf dem Boden lag, keine zehn Meter von ihr entfernt. Das kleine Rinnsal Blut war nun stärker geworden. Über ihr Gesicht strömte das Blut aus einer Kopfwunde.
    Sie beobachtete, wie die Koreanerin sich geschmeidig bewegte. Kein Laut war zu hören, als sie von einer Stellwand zur anderen huschte, bis sie nur noch wenige Meter von Debbie entfernt war. Julia hatte keine Ahnung, was sie vorhatte, doch sie vertraute ihr. Musste ihr einfach vertrauen.
    Es war Julia, die den Fehler beging. Als sie nun versuchte, Katie zu folgen, stieß sie gegen einen Stuhl, der mit einem Krachen umstürzte.
    Im nächsten Moment hörte sie bereits die Schritte, die hastig den Raum durchquerten.
    Turnschuhe.
    Genauer gesagt schwarze Nikes.
    Sie wagte nicht hochzublicken.
    Er stand direkt hinter ihr und starrte auf sie herunter.
    Alex.
    Nein, es war nicht mehr Alex.
    Er sah vielleicht so aus, doch er war es nicht.
    Seine Augen – sie waren schmal und dunkel. Und die Silhouette seines Gesichts zeichnete sich weiß im hellen Neonlicht des Computerraums ab. Noch nie zuvor hatte Julia so etwas gesehen. Alex’ Mimik drückte eine derartig unbändige Wut aus, dass sein Gesicht auf unheimliche Art und Weise entstellt schien. Ja die ebenmäßigen, smarten Züge von Mr Florida, Studienberater, Seniorstudent im vierten Jahr, hoffnungsvoller Yale-Anwärter, waren zu einer Fratze verzogen.
    Bevor sie noch etwas sagen oder tun konnte, drückten seine Hände schon ihren Kopf zu Boden, sodass Julias Lippen den schmutzigen Linoleumfußboden berührten.
    Alles in ihr war in Aufruhr und unaufhörlich flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf: Tu was! Wehr dich! Halte nicht still wie Mum und Dad!
    »Warum haben sie sich nicht gewehrt?«, hatte Julia, nein, damals hieß sie noch Laura, Hauptkommissar Peter Bauer gefragt.
    »Weil sie keine Chance hatten.«
    Aber hatte man nicht immer eine Chance?
    Katie? Wo war Katie?
    Julia hasste das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Sie hasste es, am Boden zu liegen und den dreckigen Fußboden mit den Lippen zu berühren. Das einzig Gute: Der Kunststoff fühlte sich kühl an auf ihrer Stirn.
    Alex ließ plötzlich ihre Schulter los. Sie spürte, wie der Griff sich lockerte, als er sich hastig umblickte.
    Ihr Körper spannte sich an.
    Am liebsten hätte sie es Alex ins Gesicht gebrüllt.
    He, darauf hab ich nur gewartet!
    Es kostete Julia unendlich viel Kraft, alle Muskeln und Sehnen zu spannen und sich auf ihre Beine zu konzentrieren.
    Aber sie schaffte es, Kraft zu holen. Und sie trat mit voller Wucht zu.
    Eine tiefe Stimme. Ein dunkler Schrei. Ein heiseres Fluchen.
    Doch in der nächsten Sekunde legte sich bereits wieder die schwere schweißnasse Hand auf ihren Mund und drückte erneut ihr Gesicht zu Boden. Ihre Zähne schlugen gegen den Fuß eines Arbeitstisches. Sie spürte den Geschmack von Metall. Eine ihrer Lippen platzte unter dem Druck. Ihr Mund schmeckte nach Blut.
    Irgendwo stöhnte Debbie laut auf.
    Julia konnte nicht denken. Sie konnte nicht sprechen.
    Sie bekam keine Luft mehr.
    Angst vor dem Ersticken.
    Panisches Würgen.
    Knock-out.
    *
    Sie musste für einige Sekunden bewusstlos gewesen sein. Julia kam erst wieder zu sich, als sie ein Klappern vernahm. Jemand hämmerte hektisch auf die Tastatur eines PCs ein, begleitet von schwerem Atmen und leisen Flüchen.
    Julia spürte ihren Körper nicht mehr, sie fühlte sich seltsam schwach, fast schwebend, schwerelos, astronautenmäßig. Und sie lag nicht länger im hinteren Teil des Raums. Alex musste sie nach vorn gezogen haben.
    Mühsam drehte sie den Kopf zur Seite. Neben ihr lag Debbie. Sie war so bleich, als hätte ihr jemand weiße Farbe ins Gesicht geklatscht. Ein Weiß, das von blutigen Linien durchzogen war, weshalb sie schrecklich entstellt aussah.
    Und Katie? Die Koreanerin hatte sich in Luft aufgelöst.
    Julia bewegte sich, hob den Kopf, versuchte sich aufzurichten.
    »Verflucht«, hörte sie Alex’ Stimme über ihr.
    Ein Stuhl rückte, dann kniete er neben ihr und musterte sie. Seine Miene war regungslos, kalt, starr.
    »Was …?«, krächzte Julia. Es war das einzige Wort, das sie herausbekam, und es klang erbärmlich.
    »Ihr kleinen Schlampen mit eurer blöden Neugierde«, flüsterte die Stimme direkt an ihrem Ohr. »Wenn ich etwas hasse, dann Neugierde. Leute, die mich beobachten, bespitzeln, mir nachrennen, mich
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